Kanu & Natur

ein persönliches Blog von Jürgen Clausen

Landtransport von Dahmen nach Jabel

Geschrieben am 20.07.2004 in Kanureisen (2004) —   Kanu-Landtransport, Mecklenburgische-Seenplatte, Peene (Geändert am 05.07.2017)

Teil 10 von 24 in der Serie Meine Kanutour im Sommer 2004 in Mecklenburg-Vorpommern

Wie so oft erwache ich früh, höre viele Vögel singen und in einiger Entfernung Kraniche trompeten. Das Zelt ist trocken, und heute durchlaufe ich meine Morgenrituale etwas schneller als gewohnt. Ich esse auch anders, nämlich anstatt des Haferbreis eine sehr große Portion geröstetes Trockenmüesli mit Obst und H-Sahne, die ich immer dabei habe, auch zum Kochen. Auf diese Weise bin ich für viele Stunden Krafteinsatz, wie er mir bevorsteht, gut gerüstet. Jetzt muss ich nur noch viel trinken, und ich kann mindestens 6 Stunden durchhalten.

Um 10:15 h checke ich aus, und mit Kanu auf dem Bootswagen, dessen Achsen ich mit ein wenig Pflanzenöl geölt habe, und etwa 6o kg Gepäck rolle ich auf den Ausgang zu. Ein Mann, der mit seiner Familie in einem ausgebauten Ikarusbus reist, und dessen etwa 10-jähriger Sohn helfen mir, das Gefährt die lange, steile Auffahrt vom Zeltplatz zur Dorfstraße hinauf zu schieben. Diese Rampe hat bereits einen Höhenunterschied von 12 bis 15 m!

Auf der Dorfstraße steuere ich die Landmaschinenwerkstatt am Ortsausgang von Dahmen an und bitte um etwas Druckluft. Ich pumpe die Reifen meines Bootswagens von 1,5 bar auf etwa 4 bar auf, und damit rollt es sich schon sehr viel leichter. Ich hoffe nur ganz fest, dass die Reifen und die Konstruktion des Bootswagens die kommenden Strapazen durchhalten werden. Vorräte und Wasser sind erheblich reduziert gegenüber dem Anfang meiner Tour, und das ist auch OK, denn ich befinde mich ja auch nicht in der Wildnis, wo man selten etwas einkaufen kann, an der Recknitz oder der Trebel etwa.

Am Ortsausgang von Dahmen biege ich also in den Waldweg ein, der mich zuerst über einen großen Bauernhof führt und dann durch Niederungen. Der Weg ist vor etwa 200 Jahren mit Granitköpfen gepflastert worden. Entsprechend groß sind seine Lücken zwischen den Steinen, und die Spuren rechts und links wurden von schweren landwirtschaftlichen Maschinen weit heruntergedrückt, so dass in der Mitte ein bewachsener etwa 15 cm höherer Kamm stehenblieb.

Mein Bootswagen passt weder über diesen Kamm noch richtig in die heruntergefahrenen Spuren, so dass ich laufend damit beschäftigt bin, die günstigste Möglichkeit herauszufinden, mein Gefährt ziehen zu können. Zum Glück ist bei der Hitze von fast 30° C fast überall Schatten, wenigstens die ersten 4 km. Trotz der großen Anstrengung habe ich gute Gedanken im Kopf und bereue nichts. Es geht nicht etwa nur bergauf (es sollen ja 62 m Höhenunterschied überwunden werden!), sondern immer mal wieder bergab, so dass mehr Arbeit zu verrichten ist, als eigentlich auf Grund der topographischen Gegebenheiten zu verrichten gewesen wäre. Eine sehr große Zahl von Stechmücken und Bremsen machen mir im Wald echte Probleme, so dass ich das "Zedan" herauskrame und mich an allen bloßen Hautstellen dick einschmiere. Aber das hilft wenigstens, ich bekomme in den folgenden Stunden nur noch wenige Stiche ab.

Klocksin, Blick nach unten

Klocksin, Blick nach unten: ich habe einen Höhenunterschied von 62 Meter überwunden

Wo der Weg wieder bergab führt, bin ich auch noch mit Schwemmsand konfrontiert, so dass die Räder weniger rollen wollen als rutschen. Dann ist der Wald zu Ende, und es beginnt ein weiterer steiler Weg (für Flachlandverhältnisse) mit wenig Schatten nach Klocksin hinauf. An jedem kleinem Bäumchen mache ich eine sehr kleine Pause, trinke etwas und rede mir gut zu, die nötige Kraft aufzubringen, wieder ein Stück steilen Weges zu erklimmen mit meinen 100 kg im Schlepp. Eine Tafel Schokolade hilft Wunder. Um 13:00 h erreiche ich Klocksin, und ich versuche, ein paar Fotos zu machen, auf denen der große Höhenunterschied zu erkennen ist.

Ankunft in Klocksin

Ankunft in Klocksin

In der Nähe des Ortsschildes steht ein Kirschbaum, der gewillt ist, mir ein paar Handvoll leckerer, saftiger Sauerkirschen zukommen zu lassen. Das gibt mir Energie für die nächsten km, bis ich das Boot wieder werde ins Wasser lassen können.

Badestelle in klocksin

Badestelle in klocksin

Um 14:00 h ist es dann endlich soweit: ich bin an der Badestelle von Klocksin am "Flachen See" (bis 30 m tief) angekommen. 7 km extreme Anstrengung liegen hinter mir, und ich bereite mein Kanu langsam wieder auf seine eigentliche Fortbewegungsart vor. Eine Urlauberfamilie aus Hannover hilft mir dabei, macht auch ein paar Bilder von mir.

Flacher See, Badende

Flacher See, Badende

Flacher See bei Klocksin

Flacher See bei Klocksin

Dann durchfahre ich den kleinen, nur 3,5 km langen See. Wie es danach weitergehen soll, darüber weiß ich nichts Genaues, da mein guter Wasserwanderatlas aus dem "Jübermann - Verlag" genau diese Stelle zwischen Dahmen und Jabel ausgelassen hat. Nur ein sehr ungenauer Plan eines anderen Verlages steht mir zur Verfügung, den ich hier nicht nennen möchte, der sich dadurch auszeichnet, nicht genordete Pläne zu haben, was sehr ungewöhnlich und sehr unpraktisch ist. Der Plan ist wenig hilfreich, da er von Falschinformationen nur so strotzt.

Ende des Flachen Sees

Ende des Flachen Sees

Laut Plan gibt es eine Verbindung zwischen dem Flachen See und dem folgenden Tiefen See, die man entweder treideln oder tragen kann. Die Wahrheit ist, das muss ich leider am Ende des Sees erkennen, dass ein Bahndamm zu überwinden ist, und parallel dazu eine Straße. Ich stelle fest, daß es einen Tunnel mit einem danach folgenden fast trockenen Bachbett gibt, das so schmal und gewunden ist, dass man kein 5 m langes Boot jemals darin treideln oder tragen könnte. Der Tunnel ist etwa 50 m lang und führt fast kein Wasser. Übertragen kann man den Bahndamm auf keinen Fall, und da der See weit weg ist, würde es einem auch nicht nutzen.

Ich erinnere mich, einen privaten Anleger gesehen zu haben, kurz vor dem Ende des Sees. Dahin paddle ich jetzt zurück, lande unter größeren Schwierigkeiten an (der Wind drückt stark von der Seite, und der Steg ist aus Rohren eines Bau-Stahlgerüstes zusammengesetzt!) und bemerke beim Landgang, dass es einen Weg gibt, der womöglich sogar öffentlich sein könnte. Da das sowieso meine einzige Chance ist, gehe ich den Weg ein kurzes Stück und finde mich an einem Haus wieder, in dem es Feriengäste gibt. Ein Mann ist ortskundig und beschreibt mir den Weg zum Tiefen See. Es sollen etwa 1,5 km zu Fuß sein. Ich nehme also den beschriebenen Weg, finde mich dann auf einer Brücke über die Bahnstrecke zwischen den Orten Lütgendorf und Alt Gaarz wieder. Kurz hinter der Bahn steht links eine Kirche, und dort soll man sein Boot in den See einsetzen können.

Als ich oben an der Dorfstraße bei Lütgendorf ankomme, fängt es fürchterlich zu gießen an, und das Gewitter, das inzwischen aufgekommen ist, läßt es richtig krachen. Da ich auf einer Anhöhe stehe, sehe ich die zahlreichen Blitze in den umliegenden Dörfern herunterfahren. Ich sehe ein Schild "Alt Gaarz 4 km" und beschließe, anstatt jetzt auf verschiedenen Seen zu paddeln mit unklaren Umtragemöglichkeiten mein Kanu diese Strecke zu ziehen, zumal es mit der Zeit auch lästig wird, immer wieder das Boot umzurüsten und umzuladen von Paddeln auf Landtransport. In Alt Gaarz kenne ich eine Familie, die ich unterwegs getroffen hatte, deren genaue Adresse mir jedoch nicht bekannt ist. Ich denke, sie ausfindig zu machen und bei denen mein Zelt aufzuschlagen und dann morgen den Bergsee zu fahren. Dann wären es nur noch 2 km Landtransport durch den Wald (!) bis hin zum Loppinsee, der mit einem kleinen Kanal mit dem Jabelschen See verbunden ist.

Ich finde diese Familie nicht, dafür ein Schild mit der Angabe: "Jabel 7 km". Nass bin ich sowieso, aber guter Dinge und noch immer voller Kraft (Adrenalin?). Da will ich es wissen und nehme den angegebenen Weg nach Jabel, lasse auch den Bergsee aus. Schneller bin ich sowieso zu Fuß.(Inzwischen weiß ich, daß der Bergsee aus Naturschutzgründen für Paddler seit vielen Jahren gesperrt ist).

Es geht also den Wanderweg östlich des Bergsees entlang. eine weitere Ausschilderung nach Jabel gibt es nicht, und wegen des Regens mag ich nicht meine Wanderkarten auspacken, denn diese sind nicht wasserfest wie meine Paddelkarten. Prompt verlaufe ich mich an einer Waldwegkreuzung und verpasse den Weg nach Jabel. Stattdessen lande ich, es dunkelt schon, gegen 22:00 h in Malkwitz, das ein ganzes Stück weiter westlich Jabels in der Nossentiner Heide liegt. Nach Malkwitz ist es weiter als nach Jabel, und so bin ich schon ein Stück umsonst gegangen, wenngleich auch einen wunderschönen Waldweg, von dem aus ich ein Rudel Rothirsche in der Dämmerung beobachten konnte. Im Ort frage ich bei einem Haus nach dem richtigen Weg und erfahre, wo ich falsch abgebogen bin und dass es noch ein weiter Weg nach Jabel sein würde. Ich komme mit dem Mann richtig ins Gespräch, und nach einer Weile bietet er mir an, mich auf seinem Pickup nach Jabel zu fahren. So komme ich dann kurz nach 23:00 h dort auf dem Zeltplatz an, wo es immer noch in Strömen regnet und gewittert. 18 km Fußweg liegen hinter mir. Ich melde mich kurz bei Gundula zu Hause.

Ich finde einen leicht erhöhten Platz, wo sich kein Regenwasser staut und baue im strömenden Regen mein Zelt auf. Es ist so konstruiert, daß man zuerst das Außenzelt aufbauen kann und dann das Innenzelt und den Boden unter Dach einbringt. Meine Sachen sind bald eingeräumt, trockene Kleidung und Schlafsack, Isomatte und Wolldecke etc. aus wasserdichtem Sack, und ich esse noch eine Kleinigkeit (Trockenfutter, salzig, und einige Tomaten). Dann will ich schlafen, aber die Zeltnachbarn machen noch Party bis 1:00h. Die Anwohner holen 2x die Polizei, erst danach ist endlich Ruhe.

Wer wie ich diesen Landtransport wählt, sollte eine Karte im Maßstab 1:50000 oder noch genauer dabeihaben. Vielleicht gibt es ja eines Tages auch Wasserwanderkarten, aus denen man die realen Umtragemöglichkeiten entnehmen kann. Schiebt man sein Boot, sollte man die Waldwege so weit wie möglich meiden (Sand!!). Ohne Gepäck mag das ja alles "sportlich" sein, aber mit viel Ausrüstung ist es doch ein sehr anstrengendes Spiel.

Ergänzung 2015: in Büchern und gewissen veralteten Karten werden noch immer die beiden Seen "Bergsee und Langhakensee" als paddelbar beschrieben. Das ist seit 1997 nicht korrekt: damals wurde das Naturschutzgebiet "Seen- und Bruchlandschaft südlich Alt Gaarz" ausgewiesen. Die Website "Landesrecht MV" veröffentlicht das Gesetz zur unter Schutz Stellung. Laut Paragraph 4 Artikel 13 ist  es verboten "die Gewässer des Gebietes mit Wasserfahrzeugen oder Sportgeräten jeder Art zu befahren". Auf der interaktiven Karte des Bundesamtes für Naturschutz kann die genaue Position dieses Naturschutzgebiets abgelesen werden.