Kanu & Natur

ein persönliches Blog von Jürgen Clausen

Havel von Klein Kreutz bis Plaue

Geschrieben am 07.07.2009 in Kanureisen (2009) —   Untere-Havel (Geändert am 05.07.2017)

Teil 7 von 13 in der Serie Solo-Kanutour auf der Unteren Havel 2009

Die Nacht war ruhig. Als ich gegen 7:00 Uhr aufstehe, ist der Radfahrer schon weg. Dafür bevölkern einige Graugänse den Campingplatz, der noch nicht zum Leben erwacht ist. Als sie mich entdecken, flüchten sie aufgeregt.

Ich schnappe mir meine Küchenkiste und wandere zum großen Küchen- und Aufenthaltszelt. In guter Stimmung koche ich mir mein übliches Morgengetränk und mische mir mein Frühstück: zum gerösteten Müsli gibt es heute Himbeeren, Kiwi und Banane. Das Wetter ist gut, kein Wind und kein Regen. So ist mein Zelt fast trocken, als ich mit Frühstück und Abwasch fertig bin.

Krumme Havel bei Klein Kreutz

Krumme Havel bei Klein Kreutz

Bis ich alles gepackt und im Kanu habe, ist es 8:49 Uhr, weg fahren kann ich jedoch noch nicht, da einige Experten gerade den schmalen Wasserweg blockieren: ein Wohnschifferpaar lernt gerade, ein "Schiff" zu verholen. Irgendwann verliere ich dann doch meine Geduld und zwänge mich vorbei. Wieder auf der Havel ist der Wind schon aufgewacht. Ich überquere sie und paddle gemütlich in die gegenüber abzweigende "Krumme Havel" ein. Dieser Altarm erweist sich als romantisches, sehr natürliches Gewässer, an dessen Ufern sich alles wirklich wild entwickeln durfte. Was umfällt, bleibt liegen, auf alten Weiden wachsen wieder neue. Ich finde auch einen Bootsanleger, er gehört anscheinend zum Ort Gollwitz. Im übrigen sehe ich auf der gesamten Strecke nur eine einzige Pausenmöglichkeit.

Etwas sehr Unerfreuliches entdecke ich ebenfalls: eine Fischreuse, die über der Wasseroberfläche aufgespannt ist, ist zu einer Falle für etwa 10 - 12 Bachstelzen geworden. Das macht mich ziemlich wütend, und meine erste Reaktion ist, das Netz zu zerschneiden, um die armen Vögel herauszulassen. Dann denke ich aber daran, dass der Fischer dann keinen Lernprozess hat und es wieder geschehen kann. Es würde ihn nur wütend machen, weil er ja nicht weiß, warum das passiert ist. Also vertraue ich darauf, dass er selbst die Vögel findet und befreit, wenn er nach den übrigen Netzen schaut, die er ausgelegt hat. Meine Gedanke gehen dann noch in die Richtung: wir finden es schrecklich, wenn Vögel sich verfangen, aber dass Fische jeden Tag auf diese Weise gefangen werden, stört uns kaum. Wir Menschen bringen diese Widersprüche einfach nicht zusammen, dass wir selbst nur leben können, wenn wir töten und zerstören, ansonsten aber eigentlich ganz friedlich sind. Dafür fehlt uns die passende Ideologie, vielleicht auch die Intelligenz bzw. Kreativität.

Krumme Havel - Abzweigung Emster Kanal

Krumme Havel - Abzweigung Emster Kanal

Nach knapp 2 km bewege ich mich so langsam wie möglich fort, um die Natur um mich herum in größtmöglicher ruhe genießen zu können. So erreiche ich den Emster Kanal. Hier fegt der Wind geradewegs hinein, kommt aus Richtung Havel. Ich will mir noch ein kleines Stück Kanal gönnen, um seine Qualität zu ergründen, zu fühlen, wie er auf mich wirkt. Ich paddle noch unter einer kleinen Brücke hindurch, es fährt sogar ein Motorboot den Kanal hinauf. (Es können wegen der niedrigen Wassertiefe nur sehr flach gehende Boote fahren). Dann habe ich noch ein paar hundert Meter stramm gegen viel Wind zu paddeln, bis ich wieder in der Unteren-Havel-Wasserstraße bin, die ich sogleich überquere, um unter dem gegenüber liegenden Ufer vor Wind geschützt in Richtung der Stadt Brandenburg paddeln zu können.

Blick in den Emster Kanal

Blick in den Emster Kanal

Das gegenüber liegende Ufer ist kein geschlossenes, sondern eine Havelschleife mit Insel, hinter der Klein Kreutz liegt, der östlichste Vorort von Brandenburg/Havel. Es folgen noch mehr Inseln und Havelschleifen, und am Südufer biegt ein kleines Fließ ab, es ist das, was vom ehemaligen Flüsschen Emster übrig geblieben ist, es ist mit dem künstlichen See "Wuster Erdelöcher" verbunden, der durch Ton - und Torfabbau im 19. Jahrhundert entstand.

Blick auf Klein Kreutz

Blick auf Klein Kreutz

Ich werde von zwei schönen alten Segelbooten überholt: ein holländisches Plattbodenschiff und eine Art Ever, die Skipper grüßen mich freundlich und überschwenglich, bedeuten mir, dass sie mein Holzkanu schön finden. Ich finde ihre Schiffe ebenfalls schön, rufe es zu ihnen rüber. Eine nette Begegnung.

Abzeig Untere Havel zum Brandenburger Stadtkanal

Abzeig Untere Havel zum Brandenburger Stadtkanal

Knapp 500 m und eine Insel später muss ich mich entscheiden, ob ich den nördlichen Weg durch die Vorstadtschleuse in Richtung Beetzsee und Silokanal paddeln will oder ob ich die ursprüngliche Havel durch den Brandenburger Stadtkanal nutze. Wo ist der Unterschied? Der Silokanal ist jüngeren Datum und für Schifffahrt optimiert, in meinem TA5 sehr gerade mit festen Ufern eingezeichnet. Ich entscheide mich, südlich um Brandenburg herum bzw. durch Brandenburg hindurch zu fahren und dabei den Brandenburger Stadtkanal zu paddeln. Bis in die Innenstadt hinein erweist sich die Havel hier als sehr natürlicher Fluss, bis zu 150 m breit, teilweise mit Sumpf und Schilfufern, teilweise mit Bruchlandschaft umgeben. Das bleibt so, bis ich bewohnte Gebiete erreiche, einen alten Gewerbehafen mit Fischerei und einigen Industriegebäuden, die teilweise das rechte Ufer bilden. Dann wird die Havel schmal und knickt nach links ab, die Ufer werden wieder grüner. Alles wirkt freundlich, ich sehe und höre eine Späneabsaugung an einem Spänebunker, der zu einer Berufs - Qualifizierungseinrichtung gehört, die in einem alten Industriegebäude untergebracht ist, wie eine verblasste Aufschrift verkündet.

Brandenburg - Havel

Brandenburg - Havel: Blick aus dem Brandenburger Stadtkanal auf den Mühlendamm

Die folgenden 1,2 km bis zur Stadtschleuse bieten links den Charme einer erwachenden Stadt mit einem Anleger für Yachten, rechts eine hoch gelegene Uferpromenade, auf der sich auch durchaus viele Besucher tummeln. Dort hat man einige Anlegestege für Ruderer und Paddler gebaut, das sieht man nicht alle Tage, Restpekt! Dann entdecke ich links die beiden Berliner Oldtimer-Schiffe, paddle heran und halte ein ausgedehntes Pläuschchen mit den Eignern. Sie interessieren sich für mittelalterliches Handwerk, wir tauschen Adressen aus. Sie liegen mit ihren Schiffen in Berlin im Stößensee, also in Spandau, fast dort, wo ich gestartet bin.

Stadtschleuse Brandenburg

Stadtschleuse Brandenburg

Dann bin ich in der Stadtschleuse, ein freundlicher Schleusenwärter schleust mich zusammen mit einem kleinen Motorboot talwärts. Größere Boote können hier mangels Durchfahrtshöhe nicht mehr durch die Stadt, da ein hübsches Brückengewölbe die Höhe von nur 2,70 m aufweist. Ein kurzes Stück unterhalb der Schleuse mündet der Stadtkanal wieder in die Havel.

Ende des Stadtkanals in Brandenburg an der Havel

Ende des Stadtkanals in Brandenburg an der Havel

Die Havel ist hier etwa knapp 100 m breit, die Bebauung recht  und links hält sich in Grenzen und nimmt dann stark ab, bis ich auf einem natürlich wirkenden Fluss in Richtung des Breitlingsees paddle. Vor dem Wind bin ich hier noch geschützt. Ich finde eine sandige Stelle am Ufer, mache eine ausgiebige Pause mit Bananen, Macadamianüssen und Tomaten. Dazu esse ich den Rest  Hühnchenfleisch, den ich gestern mit gebraten habe. Jetzt fühle ich mich hinreichend gestärkt für eine Seebefahrung bei diesem Wind, die bald auf mich zu kommen wird.

Die Havel vor dem Breitlingsee

Die Havel vor dem Breitlingsee

Die letzten 3 km ist die Havel hier schon recht  natürlich, wenngleich man aufpassen muss, dass man an flachen Stellen keine der scharfen Böschungssteine erwischt, die die Wasserbauer an vielen Stellen verteilt haben. Ansonsten herrscht Bruchgehölz und Pflanzenwuchs vor, es gibt auch einige Altarme, die bestimmt viel Leben bergen. Biberspuren sehe ich an vielen Stellen. Erst kurz vor dem Breitlingsee erscheint eine Art Hafen, rechts davor gibt es eine schmale Einfahrt zu einem kleinen See, in die ich neugierig wie ich bin kurz hinein paddle.

Bevor ich auf dem See hinaus paddle, werfe ich noch einmal einen Blick auf meinen Tourenatlas: der Wind kommt stramm aus Nordost und ich will zum Campingplatz Plaue vor Margarethenhof. Wenn ich mich bei Neuendorf unter Ufer halte, kann ich es schaffen. Kritisch kann es bei km 65 werden, wo der Wind offen vom Quenzsee herüberfegen kann. Welche Möglichkeiten habe ich? Warten auf weniger Wind ist wenig aussichtsreich, es ist für die nächsten Tage keine Änderung in Sicht. Wenn ich es nicht packe, paddle ich eben mit dem Wind nach Malge, wo ein Campingplatz im Süden des Breitlingsees liegt.

Breitlingsee bei Neuendorf

Breitlingsee bei Neuendorf

Es ist schon recht rau, als ich auf den See hinauspaddle. Ich entferne den mittleren Sitz und setze mich ganz auf den Boden meines Kanus, um den Schwerpunkt so weit wie möglich nach unten zu drücken. Bis ich neben der Insel Buhnenwerder bin geht es noch. Dann muß ich total gegen den Wind und es gelingt mir durch eine kleine Unachsamkeit nicht, neben dem Ufer zu bleiben. Der Wind bekommt mich zu fassen und drückt mich fast bis zur Insel, wobei ich zwischen den Stangen einer Netzanlage hindurch muß. Das schaffe ich, berühre eine der Stangen ein wenig, die ist jedoch glücklicherweise flexibel im Boden, aha!

Plauer See bei Brandenburg

Plauer See bei Brandenburg

Ich bin jetzt etwa an der Spitze von Buhnenwerder, denke, dass ich es in Pausen der harten Böen schaffen kann, schräg nach Plauerhof hinüber zu kommen. Schaumkronen bedecken jetzt die Wellen, und ich habe große Mühe, mein Paddel in der Hand zu behalten. Eigentlich müßte ich mein Kanu anders trimmen, so dass ich die meiste Last im Vorderteil hätte. Das geht jedoch nicht, denn wenn ich auch nur einen Augenblick aufhören würde zu paddeln, würde der Wind mich über die Fahrrinne auf die Insel Wusterau drücken. Halb über die Fahrrinne bin ich sowieso schon geraten, da nehme ich die sich bietende Alternative an: ich paddle einfach rückwärts, das ist sehr effektiv, wie ich schon auf einer anderen Tour erfahren habe. Dabei gelingt es mir, das Paddel weitgehend unter Wasser zu halten. Ich selbst werde dabei natürlich richtig nass, aber das stört mich nicht, die Hauptsache ist, ich bin bald wieder an der roten Tonne vorbei und weiter in Richtung Land. Wasser in mein Kanu bekomme ich nur einmal bei einer großen Kreuzwelle, ansonsten nehme ich erstaunlich wenig Wasser auf trotz der hohen Wellen. Ich frage mich, ob ich jetzt irgendwie Angst haben müßte, aber es ist einfach nicht so: es macht mir richtig Freude, mich ordentlich durchzuschaukeln, und es kostet meine ganze Kraft, mich in Richtung Ufer zu bewegen. Das ist eine schöne Erfahrung. Bin ich einmal dort, werde ich mich mit dem Wind in Richtung Westen treiben lassen, um meinen Muskeln Zeit zu geben, sich wieder mit genügend Nährstoffen versorgen zu können. Das klappt ganz gut, ich kann sogar einige Fotos machen. Zwischendurch sehe ich ein Boot der Wasserwacht, sie scheinen jemanden zu suchen. Ich gebe ihnen Zeichen, dass bei mir alles OK ist.

Campingplatz Plaue

Campingplatz Plaue

Dann bin ich auf der Höhe des Plauer Campingplatzes. Da ich den Eingang auf der Rückseite der Halbinsel vermute, muss ich mich noch einmal richtig anstrengen, um dorthin paddeln zu können. Endlich bin ich an einer geschützten Badestelle des Campingplatzes angekommen, und mit mir kommt noch ein junges Pärchen in einem kleinen Ruderboot. Die beiden sind völlig entkräftet, berichten mir, in die Fahrrinne getrieben worden und fast mit einem Frachtschiff zusammengestoßen zu sein. Ich begreife, dass es dieses kleine Boot gewesen sein muß, das ich weit von mir entfernt gesehen habe und für ein motorisiertes Fischerboot gehalten habe. Die waren es wohl auch, nach denen die Wasserwacht Ausschau gehalten hat, ein Yachtfahrer hat wohl 112 angerufen oder womöglich der Frachter, der sie fast gerammt hätte, wie sie mir später erzählten.

Es stellt sich heraus, daß das Boot gemietet war, am liebsten hätte ich mir den Vermieter zur Brust genommen: wie kann man Leuten bei Windstärke 4-5 mit Böen bis 6 oder 7 ein leichtes kurzes Ruderboot vermieten, noch dazu bei Wind, der unweigerlich in die Fahrrinne drückt? Die Gier nach Geld ist bei manchen größer als die Moral... wie würde der Mensch wohl damit klarkommen, wenn tatsächlich etwas Ernstes passiert wäre?

Ich bin aber auch ganz zufrieden, mich jetzt ausruhen zu können. Langsam wandere ich zur Rezeption, melde mich an und schaue mir auf dem Rückweg den Zeltplatz an. Dabei komme ich mit ein paar Berlinern ins Gespräch, die hier mit einem Wohnwagen sind, sonst aber auch gerne mal längere Kanutouren unternehmen. Der Campingplatz ist modern eingerichtet, verfügt sogar über ein "Zelthotel", wo man sich Zelte mieten kann. Das ist wohl in erster Linie für Gruppen gedacht. Auch für Kinder gibt es verschiedene Einrichtungen, richtig vorbildlich. Alles ist entweder direkt am See oder im Wald, wo es auch noch einen kleinen See gibt. Der Platz hat alles, was man sich nur wünschen kann.

Campingidyll in Plaue

Campingidyll in Plaue

Ich baue mein Zelt auf, es ist noch über 20° warm und immer noch sehr windig. Dann melde ich mich zu Hause, als ich Gundula über meine Fahrt berichte, sehe ich einen Fischadler ganz nahe bei meinem Zelt, der sich herabstürzt. Ob er etwas gefagen hat, kann ich nicht erkennen. 

Sonnenuntergang in Plaue an der Havel

Sonnenuntergang in Plaue an der Havel

Ich mache mir einen sehr ruhigen Abend, koche zu Essen, eine Bio-Eintopfkonserve, die ich mit etwas frischem Paprikagemüse  und Zwiebeln sowie viel scharfem Gewürz aufpeppe und mit Bulgur ergänze. Nach dem Abwasch mache ich noch weitere Touren auf dem Campingplatz, diesmal mit Kamera. Erst als die Sonne untergehen will, lässt auch der Wind nach. Dann gehe ich schlafen.

Die Nacht wird nicht so ruhig, wie ich es gedacht hatte: man hört die Schrottverladestation am Quenzsee, gelegentlich fallen schwere Teile herab. Dann gegen Morgen fahren die Züge, die Bahnstrecke umrundet quasi fast den gesamten See. Das führt dazu, dass ich am Morgen noch einmal richtig einschlafe und erst gegen 7:30 Uhr aufstehe.