Kanu & Natur

ein persönliches Blog von Jürgen Clausen

Anpaddeln auf der Schwentine 2010

Geschrieben am 26.04.2010 in Kanutagebuch (2010) —   Schwentine (Geändert am 05.07.2017)

Nach der Anti-Atom-Demo gestern (Menschenkette mit etwa 120.000 Menschen auf 120 Kilometern zwischen Brunsbüttel und Krümmel) haben wir gestern noch ein Stündchen in der Sonne an der Elbe nahe Schnakenbek gesessen und den vielen Vögeln gelauscht. So sind wir schon eingestimmt, als wir heute gegen 14:00 Uhr beim Kanuverein Klausdorf unser Holzkanu in die Schwentine einsetzen. Luft etwa 18°, Wasser etwa 9°, so lässt es sich aushalten. Die Anfahrt war nur ungefähr 5 km kurz, bald liegt unser Kanu im Wasser und wir haben alles an Bord, was wir zu benötigen glauben: Picknicktasche, extra-bequemen Sitz mit Rückenlehne für Hilli, die mit ihren knapp 96 Jahren schlecht laufen, aber gut im Kanu sitzen kann. Alex hat seine Kamera dabei, und die Laune ist perfekt. Eigentlich wollen wir ein Stück aufwärts, da dort die meisten Eisvögel leben dank der Steilufer, aber von der Schwentinehalle schallt laute Musik, also nehmen wir die andere Richtung.

Wir paddeln erst einmal um die Insel herum, schon sitzen dort auf einem nahen Ast  zwei Eisvögel. Alex macht schnell ein paar Fotos von dem, der nicht so schnell wegfliegt, dann sind sie auch schon mit ihrem typischen schrillen, harten Ruf weiter gezogen. War es ein Pärchen? Zum Glück haben an der Schwentine viele Eisvögel den letzten harten Winter überlebt, wie wir schon auf Wanderungen feststellen konnten. Zur Hauptbalz waren es 7 Eisvögel auf einer Stelle, die ihren kurzen, abgehackten Balzruf hören ließen.

Fitis

Fitis

Die Strecke um die Insel beträgt etwa 1,2 km, zuerst gegen die Strömung und etwas Wind, dann mit Rückenwind und Strömung. Natürlich lassen wir es ganz langsam angehen, sehen auch noch ein paarmal die beiden Eisvögel auffliegen und sich in gebührlicher Entfernung wieder auf einen Ansitz-Ast setzen. Auf einer Wiese nebenan sitzen einige Kanadagänse und eine etwas andere Gans, die sich später als Weißwangengans entpuppt. Gundula und Alex sind ganz aus dem Häuschen, Hilli sieht etwas anderes, freut sich aber auch. Viel Gezwitscher von den verschiedensten Vögeln dringt in unsere Ohren und erfreut unser Gemüt, es sind Fitis-Laubsänger, Rotkehlchen, Mönchsgrasmücke, Sumpf-oder Weidenmeise, Kohlmeise, Zilp-Zalp und auch das Klopfen eines Spechts ist laut und deutlich zu vernehmen.

Kanadagänse April 2010

Kanadagänse April 2010

Dann sind wir um die Insel herum, kommen noch an dem Grundstück vorbei, an dem unsere Paddelkarriere begann: 1971 zog ich mit einem Freund in eine Baracke, in der bis dahin der Klausdorfer Kanuverein beheimatet war und hauptsächlich Kajaks gebaut hat. Dort wohnte ich mit wechselnden Mitbewohnern bis 1982. Im Frühjahr 1979 kauften Gundula (die inzwischen mit mir zusammen lebte) und ich uns einen Canadier, "Scout" war das Fabrikat, und es dürfte einer der ersten im Norden gewesen sein: auf dem Wasser gesehen hatte ich nämlich bislang kein solches Exemplar, wusste aber auf dem ersten Blick in das Schaufenster, dass ich so einen besitzen und fahren wollte. Bis dahin war ich nur in geliehenen Kajaks des Nachbarn gefahren. Der dunkelgrüne 3-sitzige GFK-Canadier mit 2 Staukästen war mein Traumboot, und das war damals sehr teuer und auch nicht sehr leicht, aber extrem stabil.

Schwentine im Frühling

Schwentine im Frühling

Nun zurück zu unserer Kanutour. Wir wollen es sehr ruhig angehen lassen, langsam paddeln wir in Richtung Kiel, und wer diesen Abschnitt der Schwentine kennt, muss feststellen, dass man kaum glauben kann, in der Nähe einer großen Stadt unterwegs zu sein: man hört noch keinen Stadtlärm, die Ufer sind wild und sumpfig und man sieht kaum mal ein Gebäude durch die noch weitgehend unbelaubten Bäume und Sträucher hindurchscheinen (im Sommer ohnehin nicht!). Viele Vögel singen und klopfen, und dann erblicke ich ein Wesen, mit dem ich noch gar nicht gerechnet habe: eine Schildkröte liegt entgegen deren sonstiger Gewohnheiten nicht auf einem kahlen Ast eines heruntergekommenen Baumes, sondern direkt im Gras am Ufer. Ihr Panzer ist etwa 20 cm lang, man sieht etwas Rotes am Hals, der Kopf selbst ist dunkel-oliv und dunkelgelb gestreift. 

Schildkröte Schwentine April 2010

Schildkröte Schwentine April 2010

Wir versuchen, das Kanu zum Stehen zu bringen, damit Alex das Reptil in Ruhe fotografieren kann. Die Schildkröte ist ganz ruhig, wir auch. Alex hat bald seine Aufnahmen, und fröhlich und gelassen paddeln wir weiter die Schwentine abwärts. Immer wieder sehen wir Singvögel, dann schiesst ein Turmfalke über den Himmel, öffnet sein Gefieder zum Bremsen, rüttelt ein wenig und streicht dann weiter in Richtung Klausdorf. Das ist neuerdings ein Stadtteil von Schwentinental, der Synthese aus den beiden Dörfern Raisdorf und Klausdorf, beide an der Schwentine gelegen. Einige wenige Kanus kommen uns entgegen oder überholen uns, es ist aber nicht viel los für einen sonnigen Sonntagnachmittag.

Dann erkenne ich etwas, das wie ein Ästchen aussieht, sich aber stromaufwärts bewegt: ich denke, das kann nur eine Ringelnatter sein und sehe sie dann deutlich. Eine zweite gesellt sich dazu, und gemeinsam gleiten sie ins nahe vertrocknete Ufergewächs. Von der Größe her würde ich sie als "halb ausgewachsen" bezeichnen. Für ein Foto waren sie zu schnell und zu weit weg. Auch die hätten wir bei diesen Wassertemperaturen noch nicht erwartet.

Wir nähern uns Oppendorf, es mehren sich die Teich- und Blässhühner. Letztere haben schon ihre schwimmenden Nester gebaut, die Hähne schwimmen ausdauernd Patrouille. Die Teichhühner drücken sich wie meist dicht am alten Schilf oder an Wurzeln umgestürzter Bäume herum. Am rechten Ufer sitzt schon eine zukünftige Schwanenmama, der Herr Schwan kurvt stolz und sicher auch mächtig die Schwentine 10 Meter hinab und wieder hinauf. Es gibt auch einige Schellenten zu sehen, beim Fliegen kann man sie an ihrem eindeutigen Ton erkennen, den ihre Flügel verursachen. Auch ein Schellentenmännchen ist dabei, sein Prachtgefieder leuchtet schon von weitem in tiefem Schwarz und knackigem Weiß, und als wir ganz nahe an ihm dran sind, erkennen wir, dass sein "Schwarz" teilweise dunkelgrün schimmert.

Schildkröte in Kiel

Schildkröte in Kiel

Beim Angelverein liegt ein dünner alter Fichtenstamm im Wasser, darauf ist schon von weitem etwas zu erkennen, was dort nicht am Holz gewachsen ist: eine Schildkröte hat sich diesen Sonnenplatz ausgesucht, sie ist sehr groß, wohl über 20 cm lang. Die Oberseite ihres Panzers ist noch voller Erde, was darauf hindeutet, dass sie noch bis vor kurzem im Boden verborgen war, in den sie sich im Herbst eingrub, um sich vor Feinden zu schützen, während sie Winterschlaf hielt. Sie ist die größte Schildkröte, die ich bisher in freier Natur gesehen habe! Auch sie lässt sich problemlos fotografieren, dann paddeln wir noch das Stück Schwentine bis zum Wehr in Wellingdorf. Der Straßenlärm wird immer stärker, wir drehen um und paddeln zurück. Die Stockenten betteln jetzt noch keine Paddler an, das wird aber leider wohl noch kommen.

Auf der Rückfahrt müssen wir gegen zwar nur schwache Strömung, aber dafür teils heftige Winde anpaddeln, und das, wo wir es noch nicht wieder gewohnt sind. Natürlich ist es nicht wirklich schlimm, nur unsere Fracht namens Hilli drückt uns hier schon etwas im Gegensatz zur Hintour. Die Schildkröte beim Angelverein ist noch immer an ihrem Platz, und bald darauf sehen wir einen Bussard über uns, der zuerst links in einer hohen Buche gesessen hat, dann eine große langsame Runde fliegt und sich ebendort wieder hinbegibt, von wo aus er gestartet ist. Ein Buntspecht, den wir kurz zuvor hörten, fliegt ebenfalls von links nach rechts, kurz vor der alten Eisenbahnbrücke von "Hein Schönberg", einem Zug, den es schon lange nicht mehr gibt. Hier fährt nur noch die Güterbahnlinie zum Kohlekraftwerk und gelegentlich eine Museumsdampfeisenbahn.

Flussuferläufer

Flussuferläufer

An einem alten Baumstamm über dem Wasser liegt auch eine Schildkröte, die allerdings schon längst im Wasser ist, als wir näher kommen. Für ein Foto waren wir noch viel zu weit entfernt. Inzwischen sind wir im windgeschützten Bereich angekommen, genießen den geringen Kraftaufwand zum Vorwärtskommen. So entspannt hören wir eine Schwanzmeise, sehen sie dann auch in einer Weide herumhüpfen. Die Sonne ist jetzt schon deutlich schwächer, es geht auf 18:00 Uhr zu. Langsam paddeln wir auf den Durchstich zu, da erkenne ich unter einer tief hängenden Weide, unter der einige große Findlinge liegen, einen Flussuferläufer! Die Freude ist groß, und er ist zum Glück nicht beunruhigt, nimmt uns wohl nicht wahr. Gundula und ich manövrieren unser Holzkanu ganz langsam auf Sicht zu einer Lücke zwischen den Zweigen, so gelingt es Alex, den ansonsten meist scheuen Vogel zu fotografieren. Dann fliegen nacheinander noch zwei Eisvögel um uns herum, und so beglückt und erfreut worden zu sein genießen wir noch die letzten Meter bis zum Anleger beim Kanuverein. Als wir alles wieder auf dem und im Auto verstaut haben, zeigt die Uhr fast 18:30 Uhr. Wir haben noch das Kanu zu unserem Lager zu bringen, dann fahren wir erholt nach Hause. Das Anpaddeln war ein großer Erfolg, ich hätte nicht gedacht, dass es so viel zu erleben gegeben hätte in den paar Stunden und auf 7 km Paddelstrecke. Aber so war es!

Geschrieben in Kanutagebuch (2010)