Kanu & Natur

ein persönliches Blog von Jürgen Clausen

Ein Nachmittag mit dem Kanu auf der Schwentine

Geschrieben am 05.03.2006 in Kanutagebuch (2006) , Kanutouren & Events —   Schwentine, Winterpaddeln (Geändert am 13.09.2017)

Wir schreiben den 5.März 2006. Ein ganz gewöhnlicher Sonntagnachmittag im Vorfrühling möchte mit Sinn gefüllt werden. Was liegt da näher, als eine kleine Paddeltour auf dem Hausgewässer zu unternehmen?

Gundula fährt mich zu meiner Einsetzstelle in Preetz. Die 30 Meter von der Straße bis zum Ufer kann ich mein Kanu rutschen, da 10 Zentimeter Schnee liegen (es schneit auch gerade wieder). Wasserdichtsack mit Zusatzkleidung, Ersatzkleidung und -stiefel, Kisten mit Werkzeug und Verbandszeug, heißem Tee in der Thermoskanne, Brennspiritus für den absoluten Notfall (damit bekommt man immer und überall ein Lagerfeuer entzündet) - und schon geht die Tour los im Kirchsee in der Mitte von Preetz. Gundula macht noch ein paar Fotos von mir, siehste, geht doch, das Paddeln (ist auch nicht meine erste Fahrt diesen Winter).

Schneefall beim Start

Schneefall beim Start

Die ersten 150 Meter auf dem See sind gut zu befahren, aber kaum komme ich um die erste Kurve herum, sehe ich etwas Eis auf dem Kirchsee. Es scheint dünn zu sein, also paddle ich frisch durch das Eis und suche mir den leichtesten Weg, nämlich dort, wo das Eis naß zu sein scheint. Das geht etwa 150 Meter auf diese Art, das Eis ist 1 bis 2 Zentimeter dünn. Da kracht es zwar ordentlich, aber man kann es noch "paddeln" nennen. Dann kommen weitere 50 Meter, da ist das Eis schon 3 Zentimeter dick: ich spiele also Eisbrecher, es ist lustig und verursacht keine Schäden am Boot. Erkenntnis: bis 3 Zentimeter Eisdicke kommt man noch gut vorwärts.

Rinne ins relativ dünne Eis gebrochen

Rinne ins relativ dünne Eis gebrochen

Schnell erreiche ich wieder offenes Wasser, es folgt der Ausfluss der Schwentine aus dem Kirchsee. Die Strömung ist gut, leider sind die Enten und Graureiher in Preetz noch nicht wieder auf Paddler eingestellt und ein wenig ängstlich. Und das, wo sie gerade balzen...

Schwentine durch Preetz

Schwentine durch Preetz

Ich paddle also durch Preetz, dann weiter durch das folgende Stück vor dem Gut Rastorf, das schon sehr nett ist. Eine kleine Pause ist nötig, bei -1°C kein Problem, mal kurz die Hose des Kälteschutzanzuges herunter zu ziehen. Zum Wiedereinsetzen nach der Pause gönne ich mir ein besonderes Vergnügen: ich setze mich schon ins Kanu, als dieses noch halb an Land liegt, und stoße mich an der Erde ab: eine kurze, aber lustige Rutschpartie in die Schwentine ist der Erfolg! Das sollte man allerdings nur dann nachahmen, wenn keine Steine am Ufer liegen.

Pausenplatz an der Schwentine

Pausenplatz an der Schwentine

Durch ruhige, verträumte, durch den Schnee weich gezeichnete Landschaft, die mir heute besonderen Frohsinn vermittelt, gleite ich fast lautlos durch das eiskalte Wasser, ab und zu fliegt ein Graureiher auf und ein Habicht verlässt seinen Stammplatz auf einer dicken Esche am Ufer. So geht es fast 3 Kilometer, an einer beliebten Raststelle entdecke ich Trittsiegel von Rehen und Damwild, dort, wo sonst Pferde weiden und trinken (wenn sie nicht gerade Paddlern über die Picknickdecke latschen, um sie dazu zu bringen, ihnen Äpfel zu geben...)

Rechts liegt ein Sumpfgebiet, das man während der Vegetationszeit kaum als solches wahrnimmt, dahinter ein Wald. Ich nähere mich dem Gut Rastorf, hier halten sich wieder sehr viele Stockenten, Gänsesäger, Reiherenten, Schellenten und Kanadagänse auf.

Kanadagänse an der Schwentine

Kanadagänse an der Schwentine

Bis auf letztere sind die meisten sehr scheu, fliegen "rechtzeitig" auf. Ich fahre auf die Insel zu, ab und an treffe ich Spaziergänger, die meisten mit Hund. Das Stück Schwentine, das nun folgt, ist sonst kaum so hell wie jetzt, da sich die Bäume über dem Wasser mit den Kronen berühren, sehr schön.

Winterlandschaft hinter Gut Rastorf

Winterlandschaft hinter Gut Rastorf

Hier herrscht wie immer eine ganz besondere Stimmung, ab und zu huscht ein Zaunkönig ganz dicht über die Wasseroberfläche oder turnt im Wurzelwerk der am Ufer stehenden betagten Erlen herum. Manche laufen auch einfach auf dem angeschwemmten Treibgut, das sich an den Kronen der umgestürzten Bäumen sammelt. Ich liebe diese kleinen Kuschelwuschel!

An der Halbinsel "Stumpfes Eck" steht ein älterer Mann, wir begrüßen uns freundlich, er macht Fotos mit seiner Spiegelreflexkamera.

Vor der Halbinsel

Vor der Halbinsel

Langsam fahre ich in meinem Kanu weiter, erreiche durch Sumpf und Schilfgelände den Rosensee. Wieder fliegen Reiher auf, ein paar Kormorane und Gänsesägerpärchen sind ebenfalls anwesend. Ich höre 2 Mäusebussarde rufen, sie scheinen irgendwo zu kreisen. Da sehe ich sie schon, es sind sehr helle Exemplare. Sie scheinen wie so viele andere Vögel zu balzen, berühren sich im Fluge immer wieder, rufen dabei.

Der Rosensee

Der Rosensee

Bevor ich die Straßenbrücke der B202 erreiche, sehe ich schon, dass auch an der dortigen Einsetzstelle viel Eis auf dem Wasser liegt. Aber das interessiert mich nicht, ich will noch bis zum Bootshaus in Raisdorf paddeln, das kurz vor dem Wasserkraftwerk steht. So passiere ich die "Weiße Brücke", fahre weiter, rechts von mir liegt das Dorf Rosenfeld.

Weiße Brücke

Weiße Brücke

Ein Schottisches Hochland-Rind, ein sehr kräftiger Bulle, steht sehr malerisch auf der verschneiten Uferwiese. Ich rufe Gundula an und bitte sie, mich demnächst vom Bootshaus abzuholen. Und ich sehe wieder Eis, vorerst dünnes.

Eis auf dem Rosensee

Eis auf dem Rosensee

Beherzt passiere ich es, dahinter kommt wieder freie Wasserfläche. Aber als ich das letzte Drittel des Rosensees vor mir liegen sehe, schwant mir, dass ich nicht mal eben schnell zu meiner Endstation paddeln kann: das folgende Eis trägt Schnee, und das ist kein gutes Zeichen! Soll ich umdrehen und mich doch an der Straßenbrücke abholen lassen? Könnte ich natürlich, aber der Reiz des Ungewöhnlichen ist stark, und zurück kann ich ja schließlich immer noch, wenn das Boot heil bleibt. Und wenn ich schon mal hier bin...

Ende des Paddelns?

Ende des Paddelns?

Also fahre ich einfach wie ein Eisbrecher weiter, und es geht auch noch eine Weile. Spaziergänger schauen erstaunt zu mir herüber und unterhalten sich lautstark, vor allem Kinder.
Nach 20 m wird das Eis immer dicker, und ich muss mir etwas einfallen lassen, um dennoch vorwärts zu kommen: also probiere ich alle Möglichkeiten aus, um mich irgendwo abzustoßen und auch die Eisschicht zu zerdrücken. Ich nehme ein Stück Eisscholle zwischen meine Finger: sie ist ca 4 cm dick! Das hätte ich wirklich nicht gedacht, da könnte man ja fast drauf laufen!

schon was geschafft!

schon was geschafft!

Und es wird noch dicker: eine Strecke kommt, da zerbricht das Eis nicht mehr, sondern trägt mich mitsamt dem Boot komplett, ich bekomme also kein Wasser mehr unter mein Kanu. Ich versuche, mich vorwärts zu bewegen, indem ich meine Beine außenbords setze und mich mit meinen Füßen abstoße. Das funktioniert gut, ist aber extrem anstrengend, so dass ich es bald unterlasse. Dann hole ich meine kleine Axt aus meiner Werkzeugkiste, schlage damit Löcher rechts und links in das Eis.

fast am Anleger

fast am Anleger

Das hat zwei Effekte: erstens erhalte ich auf diese Weise Abstoßmöglichkeiten für mein Paddel, und zweitens kommt so Wasser auf das Eis, so dass das Boot nicht mehr so klebt. Inzwischen ist auch Gundula am Ufer aufgetaucht, macht ein paar Fotos und hält mich für ziemlich verrückt. Insgesamt benötige ich 45 min für das Reststück von 250 m, von denen das meiste pures, dickes Eis waren. Ich konnte zeitweise aufstehen im Kanu, ohne daß es zerbarst, allerdings sollte man das nur sehr vorsichtig tun, denn es besteht die Gefahr, einzubrechen und dabei mit dem Boot zu kentern. Da sollte man schon sehr gute Instinkte besitzen!

Paddlerbeil

Paddlerbeil

Am Bootssteg angekommen, können wir das Kanu den Hang wie einen Schlitten hinauf ziehen, mitsamt dem Gepäck, und bald ist das Boot auf dem Autodach festgebunden, so dass wir es in unser nahes Lager fahren können. Nette Fußgänger machen anerkennende Bemerkungen.

Geschafft!

Geschafft!

Ein fröhlicher Ausflug ist zu Ende, ich fühle mich körperlich etwa wie nach einem Tag Waldarbeit im Winter! Aber ich bin sehr glücklich, diesen Ausflug unternommen zu haben. Mit Schnee hatte ich gerechnet, aber mit zugefrorenen Wasserflächen überhaupt nicht. Es kam mir vorher einfach nicht in den Sinn, zum Glück, sonst hätte ich so eine ungewöhnliche Situation nicht erlebt. Es war mal wieder so wie oft: unerwartete Umstände bereiten uns mitunter viel Freude!

Geschrieben in Kanutagebuch (2006) , Kanutouren & Events