Kanu & Natur

ein persönliches Blog von Jürgen Clausen

Ein kurzer Höllenritt auf der Unteren Havel

Geschrieben am 17.02.2010 in Kanutagebuch (2010) , Kanutouren & Events —   Untere-Havel (Geändert am 13.09.2017)

Gundula und ich sind am 1. Oktober auf unserer letzten größeren 2009-Kanutour, allerdings machen wir keine durchgehende Tour mit Gepäck im Kanu, sondern haben eine Rundreise mit allerlei Kleinausflügen vor uns. Wir paddeln im Nationalpark Unteres Odertal (ich habe dort für 2009 das Kanuführerzertifikat) die Rundtour bei Stolpe/Stützkow, wo ich 2009 einige Gruppen mit geführt habe. Wir wandern am steilen Westufer der Oder (hier Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße), wir paddeln auf dem Freienwalder Landgraben im Oderbruch, wir sind an der Gülper Havel und besichtigen das Vogelschutzgebiet Gülper See. Bevor wir uns verschiedene Naturoasen an der Elbe zu Gemüte führen, wollen wir noch ein wenig den Naturerlebnisraum Untere Havel genießen.

Zu dem Zweck wohnen wir im ELCH, dem Erlebnispädagogischen Zentrum Havelberg, ganz oben unterm Dach, von wo aus man einen schönen Rundblick über die Havel hat.

Als wir dort abends ankommen, nieselt es in Havelberg. Wr gehen noch Essen beim nahen Griechen (Italiener, Russen, wer weiß das schon...?). Die Nacht regnet es, soll laut "wetteronline" jedoch am nächsten Tag besser sein. Die Windaussichten sind nicht so gut, aber man wird ja sehen.

Strömung hat die Untere Havel meist nicht viel, also beschließen wir, einfach knapp 10 km in Richtung Dossemündung zu paddeln und dann zurück. Wir bereiten morgens unser Kanu vor, packen alles für den Tag ein und wünschen uns, dass der Wind es ruhig angehen lassen möge. Der Morgenregen hört bald auf und die Sonne kommt etwas durch. Direkt am ELCH befindet sich ein kleiner Strand, dort setzen wir ein. Frohen Mutes paddeln wir mit etwas Wind gegen wenig Strömung aus Havelberg raus. Unsere Regenbekleidung haben wir bereits übergezogen. Dann verschwindet die Sonne, es fängt wieder zu regnen an. Ich packe meinen Anglerschirm aus, lege ihn über die Schultern und bemerke, dass ich fast komplett geschützt bin. Außerdem treibt der Wind nun unser Kanu, anfangs paddelt Gundula noch mit. Dann mutiert der Regen zur Dusche, immer schön von hinten, so dass nun auch Gundula ihren Regenschirm aufspannt. Auch sie hat ihn mehr im Rücken und bleibt trotzdem fast trocken.

auf der Unteren Havel nahe Jederitz

auf der Unteren Havel nahe Jederitz: aus meinem Archiv

Wir machen jetzt ohne zu paddeln recht gute Fahrt und es fängt an, Spaß zu machen. Dann nimmt der Wind zu, richtige Wellen bilden sich auf der Unteren Havel: wir sind jetzt so schnell wie wir vielleicht gerade noch durch heftiges Paddeln geschafft hätten. Allmählich kommt bei uns der Gedanke auf, wohin das führen wird, was wir gerade erleben: wie entwickelt sich das Wetter? Gegen den Wind wie geplant werden wir nicht zurück kommen, aber wie dann? Feste Ufer sind hier rar und Straßen weit entfernt.

Der Regen ist noch stärker geworden, und der Wind verursacht nunmehr leichte Schaumkronenbildung auf der Havel. Wir wissen jetzt, dass wir in einer Ausnahmesituation sind, aber sollen wir unseren Spaß etwa unterbrechen? Wir sind jetzt schneller als wir es je mit unserem Holzkanu waren. 

Hier an den Ufern der Havel kann man kaum anlanden, und wenn, käme man nicht an irgendeine Straße, um nach Havelberg zurück zu laufen. Soweit habe ich den Plan im Kopf. Unterhalten mit Gundula kann ich mich kaum, starker Wind und Regen machen zuviel Krach. Fotos machen ist natürlich auch nicht drin, ich bin froh, bei dem vorherrschenden leicht seitlichem Wind die Kontrolle über das Kanu einigermaßen behalten zu können. Mehr geht nicht, immerhin muss ich ja auch noch außer zu steuern den Schirm halten, und das mit aller Kraft, da der Wind auch noch sehr böig ist. Ich frage mich, wie weit es wohl bis Vehlgast sein mag und wie von dort die Busse nach Havelberg fahren mögen. Auf jeden Fall weit, 2-3 Stunden von Havelberg in normalem Tempo. Da fällt mir ein, dass hier irgendwo vom rechten Ufer ein kleiner Stichkanal aufwärts zu einem kleinen Ort führt. Ich bin fest entschlossen, bis dorthin unser Holzkanu aufrecht zu halten und ein Stück in den hoffentlich ruhigen und windgeschützten Graben paddeln zu können.  Dann könnten wir einen Blick in unseren Tourenatlas TA5 tun und weiter planen. Auf unserer Uhr lesen wir ab, dass wir für die Strecke von Havelberg bis hier nur 25 Minuten gebraucht haben. Da es etwa 4 km sind, waren wir etwa 10 km/h schnell. Wenn man bedenkt, dass der erste Kilometer normal war, waren wir wohl sehr schnell, und es kam uns gefühlt wirklich wie ein Höllenritt vor, ein spaßiger allerdings. Aber der Wind hätte nicht kräftiger wehen dürfen, und erst recht nicht noch schräger von der Seite. Alles hat seine Grenzen, und man hat ja auch nur 2 Hände zum Steuern und um den Schirm zu halten, der immerhin 2 m Durchmesser ausweist.

Tatsächlich finden wir den richtigen Ausgang in dem Uferlabyrinth, ein kleiner Steg mit einigen Anglerbooten ist an der Einmündung eines kleinen Grabens von etwa 4-5 m Breite zu sehen. Sofort sind wir aus dem Wind, es regnet auch nicht mehr so kräftig. Wir finden uns in einer wilden Uferlandschaft wieder, und unsere Wasserwanderkarte sagt uns, dass hier ein kleines Fließ in die Havel mündet, angeblich nicht befahren werden darf und der nächste Ort westlich an der Straße von Havelberg nach Kuhlhausen liegt.  Er heißt Jederitz. Ganz gespannt paddeln wir aufwärts  und kommen nach etwas mehr als 20 Minuten nach Jederitz. An einer Art eingedeichtem Dorfplatz klettern wir aus unserem Holzkanu, ziehen es an Land und bringen unsere Ausrüstung ebenfalls an einen überdachten Picknicktisch. Wir müssen alles gut festhalten, so windig ist es selbst hier noch. Wasser im Kanu haben wir so gut wie gar nicht.

Ich mache mich auf den Weg ins Dorf, um eine Bushaltestelle zu finden und die Abfahrtszeiten zu erforschen. Wir haben großes Glück, es fährt ein Bus etwa 40 Minuten später. Was will man mehr? Also essen wir noch gemütlich von unseren belegten Brötchen, die wir uns am Morgen gemacht hatten, bevor Gundula zum Bus wandert. Bald darauf sehe ich den Bus kommen, ich warte bei unserer Ausrüstung, gehe auch ein wenig umher und schaue mir wie üblich das Gewässer an. Es gibt hier ein Wehr, nicht weit von der Straße und dem Dorfplatz. Den Trübengraben, dieses kleine Fließ, könnte man noch viele Kilometer weiter aufwärts paddeln, es gibt dort oben sogar einen kleinen See nahe den Orten Wulkau und Kamern. Wie man aber das Wehr umtragen könnte, bleibt mir unklar. 

Ein Fahrzeug kommt angefahren, ein Trupp Männer springt heraus, harkt alle Blätter im Brückenbereich zusammen und wirft sie über das Brückengeländer. Deren Motto lautet wohl: wat geiht mi dat an! Was kümmert mich die Überdüngung der Gewässer, es wird ja gekrautet und andere wollen schließlich auch Arbeit haben. naja...!

Ein Mann kommt zum Dorfplatz gefahren, macht sein Anglerboot klar. Ich quetsche ihn darüber aus, was es wohl mit dem Paddelverbot auf sich haben könnte. Er antwortet mir, das sei Unsinn, da alle Männer des Dorfes  hier den Trübengraben bis zur Havel nutzen würden, um dort zu fischen. Dann kommt auch Gundula, und wir laden unsere Sachen ein und das Kanu auf das Dach.

Natürlich hätten wir das ganze auch noch fortsetzen können, aber die nächste Möglichkeit zu landen wäre Garz gewesen, noch eine ganze Stunde mehr (=11 km). Dafür fehlte uns aber das Vertrauen in das Wetter, denn schlimmer wäre nicht mehr gut gewesen. Unseren Spaß hatten wir auch so allemal, und es reichte uns auch körperlich. Wie anstrengend es ist, derart konzentriert zu sein, merkt man immer erst hinterher.

Diese Tour hat uns für einige Zeit richtig satt und zufrieden gemacht. Fotografieren konnten wir natürlich nicht, wir hatten genug damit zu tun, das Kanu mit der offenen Seite oben zu halten. Die Gefühle dort im Wind werden wir wohl so schnell nicht vergessen. Das Naturschutzgebiet Untere Havel wird uns aber baldigst wiedersehen, da bin ich mir sicher. Gundula kannte es bislang noch gar nicht, ich hatte ihr doch so vorgeschwärmt von Seeadlern, Schwarzstörchen und Bibern, die ich auf meinen bisherigen Touren auf der Unteren Havel habe erleben dürfen.

Geschrieben in Kanutagebuch (2010) , Kanutouren & Events