Kanu & Natur

ein persönliches Blog von Jürgen Clausen

Solo von Küstrin bis Schwedt

Geschrieben am 29.08.2008 in Kanureisen (2008) —   Oder (Geändert am 08.11.2017)

Teil 7 von 9 in der Serie Wandertouren auf der Oder 2008

Nachdem Alex, Gundula und Hilli wieder nach Hause gefahren sind, will ich allein auf der Oder die Abschnitte Küstrin-Kietz bis Schwedt sowie Schwedt bis Gryfino erkunden. So fahre ich am Mittwoch, den 27.8.08 mit dem Transporter nach Küstrin-Kietz zum Wasserwanderrastplatz bei Fischer Schneider, von wo aus ich am  Donnerstag früh mit unserem Holzkanu auf die Oder gehe. Unterwegs habe ich noch etwas Verpflegung eingekauft. Das Auto bleibt sicher auf dem Wasserwanderrastplatz stehen.

Morgens in Kuhbrücke

Morgens in Kuhbrücke: Tourenstart in herrlichster Natur

Nach besonders frühem Erwachen sitze ich schon  kurz nach sieben Uhr im Kanu und paddle munter in die Strömung. Der Himmel ist verhangen, ich hoffe, es bleibt trocken. Rechts von mir erscheint die Mündung der Warta, in die ich jetzt gerne hinein paddeln möchte. Ich weiß jedoch, dass es bei der starken Strömung aussichtslos ist. Ich werde das Mündungsdelta der Warta ein anderes Mal erkunden, es scheint mir nach der Gewässerkarte sehr interessant zu sein.

Die nächsten 15 km paddle ich etwa 2 Stunden an etwas zerklüfteten Ufern vorbei. Kein Ort erscheint weit und breit. Ab und zu sehe ich einen Fischadler bei Fangversuchen und sehr viele Graureiher, wie fast überall an der Oder. Viele größere und kleinere Fische zappeln nahe der Wasseroberfläche oder springen sogar. An vielen Stellen haben Biber die Bäume angenagt, es gibt auch viele Gänsesäger zu sehen, die gerne auf den Buhnen oder den kleinen Stränden stehen und auf Angeschwemmtes warten.

Fischadler beim Beuteflug

Fischadler beim Beuteflug

Rechts sind einige Kiesverladestationen, sonst ist hier nur Natur. Auch auf diesem Oderabschnitt gibt es viele Nebengewässer, die wie Altarme aussehen. Dann komme ich bei km 33 an der Hafeneinfahrt Kienitz vorbei, in die ich kurz hinein paddle. Im Dorf wird gerade ein Fest vorbereitet, Pavillons werden aufgebaut und ein Grill.

Als ich weiterpaddle, treffe ich zwei junge Frauen in einem Schlauchcanadier, die mit Doppelpaddel fahren. Ich überhole sie und paddle weiter in starker Strömung und relativ wilder, meist einsamer Natur. Rechts kommt ein Ort in Sicht, laut Karte ist es Czelin. Gegenüber ist eine Einsetzmöglichkeit, mehrere Angler sitzen am Ufer.

Fähre Gozdowice

Fähre Gozdowice

Knapp eine Stunde später sehe ich ein merkwürdiges Gefährt am rechten Ufer: das muß die Fähre von Güstebieser Loose nach Gozdowice sein, die manchmal fährt und oft nicht, jedenfalls bisher. Das kann ja noch besser werden, wo es doch so wenig Querungsmöglichkeiten der Oder gibt.

Hier beginnt ein Oderdurchstich, d.h., die Oder zweigt jetzt nicht mehr nach links durch das ehemalige Oderbruch ab, sondern muss seit Mitte des 18. Jahrhunderts ihr gesamtes Wasser durch den neuen Durchstich zwängen, der hier bis Hohensaaten gegraben wurde. (Eine nähere Beschreibung ). Die eigentliche Oder bog bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts hier in Güsterbiese nach Westen ab, um den Neuenhagener Sporn bei Schiffmühle und Bralitz zu umfließen, bevor sie über Oderberg bei Hohensaaten wieder links abknickte und dort floss, wo sie heute in Hohensaaten fließt. Der Durchstich ist als solcher nicht zu erkennen, da er ebenso breit ist wie die übrige Oder.

Vom sogenannten "Oderbruch" ist fast nichts mehr zu finden, das ehemalige Sumpfland wurde trockengelegt. Das heutige Oderbruch ist eine flache Kulturlandschaft, die zum Teil unter dem Oderwasserspiegel liegt und daher ständig von Sickerwasser befreit werden muss, meist durch Pumpwerke. Nur das Gebiet südlich des Oderberger Sees ("Niederoderbruch") würde ich noch als Bruchlandschaft bezeichnen, alles andere ist fast vollständig Kulturlandschaft.

Anlegemöglichkeit bei Groß Neuendorf

Anlegemöglichkeit bei Groß Neuendorf

Zwischen Güstebieser Loose ("Loose" bedeutet so etwas wie Einsiedlerhof) und Hohenwutzen ist zwar die neu gegrabene Oder eine relativ gerade Wasserstraße, jedoch keineswegs langweilig: dadurch, dass der "neue" Oderlauf den alten Nebenfluss "Slubia" schneidet, liegt deren Mündung jetzt weiter flussaufwärts als früher, nämlich bei Siekierki, bevor die ungenutzte Eisenbahnbrücke bei Bienenwerder quert. Großflächige Reste des ehemaligen Binnendeltas der Slubia liegen noch als abgeschnittene Sümpfe und Auenwälder nahe Siekierki, Stara Rudnica und Kostrzynek (gegenüber von Hohenwutzen), wo sie den Charakter einer Flussmündung annehmen. Es handelt sich um ein Sumpfgebiet von knapp 27 qkm! Dort werden sogar noch Weiden für Korbflechterei geschnitten. Als wir später einmal dort paddelten, sahen wir unzählige Seidenreiher zusammen mit Graureihern und anderen Wasservögeln die Wasserflächen bevölkern.

Links vom Deich liegen der Laufgraben als wichtigster Vorfluter, um das Sicker - und Regenwasser abzuleiten sowie der Mucker, der später "Stille Oder" heißt und bei Schiffsmühle in die Alte Oder fließt. Das muß früher der Fluss gewesen sein, der jetzt "Slubia" heißt. Wer mehr darüber weiß, möge sich bitte bei mir melden!!

Während ich hier mit meinem Holzkanu paddle, weiß ich zwar von all diesen Umgebungsgeschichten, sehen kann man davon allerdings sehr wenig. Ich komme an Zollbrücke vorbei, hier gibt es einen kleinen Hafen. Als ich näher hinschaue, stelle ich fest, dass dieser Hafen völlig verlandet ist. Nur bei höheren Wasserständen als den derzeitigen kann man hier anlegen, aber auch dann nur am Ufer. Stege gibt es hier nicht.

Pausenplatz bei Bienenwerder

Pausenplatz bei Bienenwerder

Man soll hier am Ufer zelten können, es gäbe jedoch keine Sanitäranlagen, sagt ein Angler, der in der Nähe am Ufer steht. Da paddle ich weiter und suche mir lieber einen einsameren Pausenplatz. Ich finde ihn einige Kilometer abwärts an einem kleinen Strand, wo ich mein Holzkanu an Land ziehe. Die Blase fordert ihr Recht, und ich möchte mir etwas die Beine vertreten. So steige ich den kleinen Hang hinauf, der sich als Deich erweist. Oben fahren einige Radfahrer, wir grüßen uns freundlich. Radfahrer sieht man hier in der Saison viele auf dem Oder-Neiße-Radweg, und dieser verläuft auf weiten Strecken auf dem Deich.

Hinter dem Deich wird es interessant, da hier ein Graben verläuft, der reichlich zugewachsen ist: der Laufgraben, ich erwähnte ihn bereits als Vorfluter für Sickerwasser. Im Frühling bzw. Frühsommer kann man ihn gut paddeln, dann ist er noch nicht so verkrautet. Am Grabenufer sehe ich die typischen Bissspuren der Biber und eine Bibergleite.

Ich lasse noch meinen Blick über die Niederungen schweifen in der Hoffnung, hier den Mucker zu entdecken: er ist jedoch zu weit entfernt, und so wandere ich gemessenen Schrittes zurück zum Kanu, um ein belegtes Brötchen zu genießen, dass ich mir am Morgen vorbereitet habe, mein Lunchpaket sozusagen. Etwas selbst gemischte Apfelschorle dazu füllt mein Gefäßsystem wieder mit Flüssigkeit auf.

Die Uhr zeigt jetzt 15:07, ich hoffe, es bleibt trocken und ich kann noch ein paar Stunden paddeln. Am liebsten würde ich bis Hohensaaten oder bei "Alte Schleuse", das ist kurz vor Hohensaaten, weiterpaddeln und dort eine möglichst ruhige Nacht verbringen. Bis etwa 18:00 Uhr kann ich noch rund 20 km paddeln, wenn die Strömung so bleibt und kein Gegenwind kommt. Bis Hohensaaten sind es noch ca. 12 km, da habe ich wohl noch Reserven.

Ich dehne meine Pause aber nicht weiter aus, so interessant finde ich die Umgebung nun auch wieder nicht, und das Polnische Ufer bietet keinen Zugang zu den dortigen Sümpfen, in die ich schon gerne mal hinein paddeln würde. So verstaue ich meine Küchenkiste wieder und setze mein Kanu ins Wasser der Oder. Mit dem Paddel in der Hand springe ich hinein, und schon gleitet es wieder in der Strömung. Mit einigen Paddelschlägen bin ich wieder auf meinem Kurs, nicht ganz in der Mitte der Oder, so dass ich beide Ufer im Blick habe und nicht in der Tonnenlinie fahre.

Von rechts kommt der Fluss Slubia in die Oder geflossen, ich paddle ein paar hundert Meter hinein, es ist jedoch sehr anstrengend gegen die Strömung. Vom Ort Siekierki sehe ich ein paar Dächer. Dann wende ich mich wieder der Oder zu.

Soda-Brücke bei Bienenwerder

Soda-Brücke bei Bienenwerder: diese Brücke hat keine Funktion, sie ist nur so da

Ich sehe eine Brücke, das muß Bienenwerder sein. Sie wurde zwar nach dem Krieg wieder neu errichtet, aber eine Bahn ist hier noch nie gefahren. In Polen steht noch ein Bahnhof am Sumpfrand hinter Sierkierki, auf deutscher Seite ist bis Wriezen nur noch der Bahndamm erhalten, der teilweise als Fahrradweg genutzt wird. Hier ist bis zur Erreichung normaler Verhältnisse noch sehr viel Entwicklungsarbeit zu leisten.

Die nächsten 5 Kilometer kann man fast von einem Kanal sprechen, wenn auch mit schneller Strömung und sehr breit. Buhnen sind hier wenn überhaupt vorhanden, sehr kurz, aber immerhin sehe ich einen Seeadler kreisen. Kein Wunder, ist ja ein großes Sumpfgelände in der unmittelbaren Nähe. Man kann es nur vom Kanu aus nicht sehen.

In weniger als einer Stunde paddle ich auf die nächste Brücke zu, und diese ist sehr belebt: es ist Hohenwutzen. Wie gewohnt schaue ich, ob man diesem Ort einen Besuch abstatten kann, ob man irgendwo eine Anlegemöglichkeit findet: alles, was ich finde, jedenfalls beim derzeitigen Wasserstand, sind steinige Böschungen. Direkt vor dem Ort hätte man links vor einer Buhne anlanden können, daran bin ich jedoch schon vorbei. Das würde wahrscheinlich jedem so ergehen.

So langsam es mir möglich ist paddle ich an dem Ort entlang, er liegt hoch, weit weg vom Paddler. Unter der Brücke paddle ich links des ersten Pfeilers, also zwischen Pfeiler und Böschung, im Wasser stehen (liegen) noch Reste der alten Brücke, und das kurz unter der Wasseroberfläche. Mich schauderts! Hier sollte jeder Paddler extrem vorsichtig sein.

Es gibt immer noch keine Ausstiegsmöglichkeiten, womöglich hätte man rechts vor der Brücke in den Altarm auf der polnischen Seite hineinpaddeln sollen. (im November sind wir dann dort gewesen, man kommt in eine riesige Sumpf - und Auenlandschaft, Einsetzen am besten in Stara Rudnica, wo die Weinberge sind).

der Polenmarkt in Hohenwutzen-Osinow-Dolny

der Polenmarkt in Hohenwutzen-Osinow-Dolny: es gibt feste Gebäude, aber hauptsächlich Zeltbasare aller Art

Hinter der Brücke rechts liegt der berühmte Polenmarkt, der je nach Stand der Zloty-Währung stark oder weniger stark frequentiert ist. Da gibt es alles, sogar ein "Rotlichtviertel".

Hohenwutzen nähert sich dem Ende, da entdecke ich links eine Möglichkeit, am Ufer unter Gehölzen anzulegen. Ich will sie jedoch nicht nutzen, jedenfalls nicht heute.

Als wir im November wieder dort sind, stellen wir fest, dass es durchaus ein Restaurant sowie mehrere Pensionen gibt. Wer also mal von dort aus starten möchte, es geht durchaus, wobei man eher in Stara Rudnika oder vorher schon (mit ein wenig tragen) bei den Anglern in Kostrzynek einsetzt.

Oder bei Alte Schleuse Hohensaaten

Oder bei Alte Schleuse Hohensaaten

Ich strebe weiter, eine Übernachtung suchend. Die 2,5 km bis "Alte Schleuse" vor Hohensaaten vergehen wie im Fluge. Dort stelle ich fest, dass das, was wie ein Hafen aussieht, keine Anlegemöglichkeiten bietet, kurz davor wäre besser gewesen. Aber so ist es nun mal bei starker Strömung: vorbei ist vorbei, also noch schnell ein Foto gemacht von der Meßstelle, dann bin ich auch schon weiter.

Nun denke ich, Hohensaaten wäre das richtige, aber das, was bei der Erdungung von Land aus vor ein paar Tagen noch Sandbank war, ist jetzt überflutet. Damit ist klar, daß mir die Wiesen dort auch zu feucht sein werden, weshalb ich weiterpaddle.

Einmündung der Alten Oder in Hohensaaten

Einmündung der Alten Oder in Hohensaaten: durch die Ostschleuse

Als ich an der Schleuseneinfahrt ankomme, sitzen auf der Landzunge ein paar Angler, die nett grüßen. Ich paddle nur ein wenig in die Alte Oder (Havel-Oder-Wasserstraße) hinein, es gibt nicht viel zu sehen. Von Land aus war ich auch schon mal dort. Also weiter, bald muß aber mal eine gute Stelle kommen, wo ich mein Zelt aufschlagen kann. Immerhin ist es schon nach 19:00 h, es wird höchste Zeit. 

Oder bei Bielinek

Oder bei Bielinek

Am rechten Ufer liegen polnische Dörfer, ich bin mir nicht sicher, ob es da so gut ist, immerhin könnte es zu Mißverständnissen führen, wenn ich versehentlich auf Privatgrund zelte. Aber dann, gegenüber des großen Kiessees bei Bielinek, kommt links nach einer langen Sumpfphase wieder ein kleiner Strand. Sofort entscheide ich mich, hier zu nächtigen, wenn es oberhalb des Hangs ebene Flächen gibt.

Übernachtung bei Bielinek

Übernachtung bei Bielinek

Wie immer in solchen Situationen prüfe ich zuerst, wie es hier mit Tieren aussieht: da es an der Oder sehr viele Wildschweine gibt, möchte ich einigermaßen sicher sein, nicht gerade dort zu zelten, wo sie sich gewöhnlich aufhalten. Aber ich höre keine, und alles, was ich an Spuren entdecke, scheint zu einer Schafherde zu gehören, auch die Kötel. Also suche ich mir die beste Stelle aus und bewege alles, was ich bei mir habe, vom Oderufer dorthin, den kleinen Hang hoch und noch ein paar Meter. Zuletzt ziehe ich das Kanu dorthin.

Es wird immer dunkler, schnell baue ich mein Zelt auf, ungefähr das 31. Mal, daher geht es schnell und leicht. Ich telefoniere mit Gundula zu Haus, dann esse ich noch ein paar trockene salzige Kekse mit ein paar Tomaten dazu. Das ist mein Mittagessen, zu mehr reicht meine Energie heute Abend nicht, und ich habe auch keine Lust, im Vorzelt zu kochen. Gut satt werde ich allemal, und gegen 20:35 Uhr liege ich müde, aber zufrieden in meinem Schlafsack. Ich muss sofort eingeschlafen sein.

Ich erschrecke aus meinem Schlaf durch heftiges Getrappel und weiß sofort, dass es hier eine Rotte Wildschweine gibt, die neugierig um mein Zelt herumtapert. Sofort ziehe ich mir eine Hose über und verlasse mein Zelt. Draußen sehe ich nichts, doch sie sind ganz in der Nähe, vieleicht 30 Meter entfernt. Ich lärme, rufe so laut ich kann und klatsche extrem laut rhytmisch in meine Hände, um mein "Revier" zu markieren. Damit müssen sie wissen, dass sie es mit einem Menschen zu tun haben, und das sind nun mal ihre einzigen Feinde. Tatsächlich bewege ich sie dazu, weiter zu ziehen, und bald höre ich ihr Gegrunze nicht mehr. Also werde ich weiter schlafen. Wieder hinein in  mein Zelt, die Hose ausgezogen und erstrmal durchgeatmet. Die Uhr zeigt 21:23 Uhr, also habe ich wohl eine Stunde geschlafen.

Angst hatte ich nur die ersten 2 Sekunden, und jetzt will ich schlafen. Ich lege mich wieder in meinen Schafsack, kuschle mich ein und visualisiere einen Schutzkreis um mein Zelt, eine imaginäre verbotene Zone. Ich bitte das Universum darum, auf mich aufzupassen. Das wirkt, und kurze Zeit später kann ich wieder schlafen.

Am Freitag Morgen erwache ich erst gegen 7:00 Uhr, ein gutes Zeichen. Es regnet nicht, der Himmel ist jedoch sehr mit Wolken verhangen. Nach dem Anziehen inspiziere ich erstmal die Umgebung: Spuren der Schweine sind glücklicherweise nur in größerem Umkreis zu finden, sie sind also weggeblieben. Die Erfahrung habe ich auch schon im dunklen Wald mit Wildschweinen gemacht: viel Lärm machen, dann sind sie verunsichert, denn das sind sie ja nicht an der Stelle gewohnt, wo sie sich gewöhnlich aufhalten.

Jetzt stelle ich erstmal meinen Kocher auf und koche mir zuerst Tee und dann einen schönen Haferbrei mit Nüssen und Weinbeeren. Dazu schneide ich mir eine Banane und einen Apfel, ich habe auch noch Trinkjoghurt, eine besondere Leckerei dazu. Auf der Oder erscheint, genau wie gestern, ein Schubverband mit Kohlen flussabwärts. Auf der ganzen Oder sahen wir sie nur frühmorgens, erst ab der Westoder bei Friedrichsthal waren sie auch tagsüber unterwegs.

Pausenplatz bei Piasek

Pausenplatz bei Piasek

Mir wird eigentlich erst jetzt klar, dass ich mich im Nationalpark Unteres Odertal befinden muß, Schilder habe ich allerdings nirgendwo gesehen, noch nicht einmal Oder - Kilometrierung. Aber meine Gewässerkarte meint, ich sei wohl gegenüber Bielinek, und das ist eindeutig bei km 675. Mit meinem Fernglas sehe ich auch den Kiessee dort drüben auf dem polnischen Ufer. Polder sind hier weder zu sehen noch auf meiner Karte eingezeichnet, es gibt also nur von Schafen abgegrastes Weideland. So groß kann der Naturfrevel also nicht sein, den ich hier unwissender Weise beging, beruhige ich mich. Aber ich muss es ja nicht wiederholen. Allerdings empfehle ich den Verantwortlichen, die Kilometrierung wieder her zu stellen, und vielleicht ab und zu mal ein Schild am Ufer aufzustellen, das auf den Nationalpark Unteres Odertal hinweist. 

Nachdem ich gegessen und abgewaschen sowie Zähne geputzt habe, baue ich mein Zelt ab, das nun auch schon fast trocken ist. Meine Ausrüstung und das Holzkanu bringe ich wieder zu dem kleinen Strand hinunter. Ich stelle fest, dass der Wasserstand nahezu konstant geblieben ist. Als ich alles wie gewohnt verstaut habe, schiebe ich mein Kanu endlich wieder ins Oderwasser. Die Uhr auf meinen GPS zeigt schon 8:48 Uhr, als ich endlich das Paddel schwinge und das Kanu Fahrt aufnimmt.

Oder unterhalb Hohensaaten

Oder unterhalb Hohensaaten

Mein Tagesziel ist der Seesportclub in Schwedt, der im sog. "Holzhafen" residiert. Das wären eigentlich nur 18 km, aber die theoretisch mögliche Strecke darf man nicht paddeln: die kürzeste Verbindung nach Schwedt führt über die "Meglitze", aber das ist ein Altoderarm, der erstens nicht mehr direkt mit der Stromoder verbunden ist und zweitens als Teil des Nationalparks Unteres Odertal nicht ohne angemeldete Führung gepaddelt werden darf.

Also muß ich die sog. "Schwedter Querfahrt" nutzen, und das sind noch einmal 14 km mehr. Mir ist es egal, der Weg ist das Ziel. 

Einlaßbauwerk bei Zaton-Dolna

Einlaßbauwerk bei Zaton-Dolna

Ich passiere den Ausgang des Kiessees, dann nach wenigen Kilometern die nächste Kiesverladestele bei Piasek. Das Gelände am östlichen Ufer steigt recht hoch an, links ist es relativ niedrig und auch leider eintönig, so dass man vom schönen Nationalpark nichts sieht. Rechts ist Wald, beide Ufer sind immer mehr durch grobe Steine befestigt, Buhnen gibt es nun gar keine mehr. Links sehe ich ein Einlassbauwerk: hier wird der Wasserfluss zu und von den Poldern geregelt, wenn viel Wasser anfällt, meist im Herbst und Frühjahr, möglich ist es auch im Sommer. Es wurde neu erbaut und liegt gegenüber von Piasek nahe km 181.

Rechts paddle ich an einem seltsamen Gebäude vorbei. Es ist ein größerer Bauernhof, dessen Dächer zum größten Teil fehlen. Wozu braucht man auch Dächer! Ein Teil dieses Hofes scheint noch in Bewirtschaftung zu sein, es stehen Maschinen herum, die jüngeren Datum zu sein scheinen.

Vor Krajnik-Dolny

Vor Krajnik-Dolny

Rechts stehen noch Häuserreste bei Radun, ein paar Dorfteile mehr gibt es später bei Zaton Dolna zu sehen, dort gegenüber auch wieder ein Einlassbauwerk, bei km 687. Jetzt erscheint in der Ferne eine Brücke, das kann nur die Straße sein, die von Schwedt nach Krajnik Dolny führt. Je näher ich der Brücke komme, umso mehr schaue ich, ob man nicht doch in die Meglitze umsetzen könnte, wenigstens theoretisch. Ich denke daran, dass es ja vielleicht für den Austausch der Schwedter Wassersportler mit den polnischen gegenüber ganz lustig sein könnte, sich auf kürzestem Weg besuchen zu können. Aber alles was es gibt sind steinige Ufer, an den man noch nicht einmal anlanden könnte. Das ändert sich am linken Ufer auch nicht die nächsten Kilometer. Also beschließe ich, rechts in den Altarm hinter der Brücke hinein zu paddeln. Ich kenne ihn von früheren Erkundungsfahrten mit dem Auto.

Oder-Altarm bei Krajnik-Dolny

Oder-Altarm bei Krajnik-Dolny: hier hinein paddeln um zum polnischen Imbiß zu kommen

Der Zugang erscheint ein paar hundert Meter hinter der Brücke. Es ist ganz nett in dem Altarm, es wachsen Schwanenblumen, sie blühen sogar noch. Ich suche eine Ausstiegsstelle, damit sieht es jedoch schlecht aus. Also wähle ich einen umgestürzten Weidenstamm als Anleger und binde mein Kanu vorsichtshalber richtig am Baum fest, bevor ich aussteige. Ich will aussteigen, aber meine unteren Beine sind fast vollständig bewegungsunfähig: ich bin seit kurz vor Neun bis jetzt, also fast 3 Stunden, kniend gepaddelt. Dabei habe ich überhaupt kein Problem gehabt, aber jetzt beim Aussteigeversuch  versagen meine Beine zunächst den Dienst. Durch kleine Bewegungen lockere ich meine Glieder, und dann kann ich allmählich dem Boot entsteigen.

Ich besichtige meine Umgebung. Es gibt einen sehr großen Parkplatz, einen nahen Imbiss (wir sprechen deutsch!) und die typisch polnischen Grenzangebote wie Tankstellen und Friseure.

Da ich selbst noch etwas Essbares dabei habe, laufe ich nur ein wenig herum, vertrete mir die Beine und mache ein paar Fotos. Ein paar Kohlmeisen zwitschern auf den noch stehenden Weiden, über die Straßenbrücke nach Schwedt fahren ab und zu ein paar Autos, auch LKW. Die Häuser der ehemaligen Grenzkontrollen verfallen schon jetzt. Für meinen Geschmack liegt hier etwas zuviel Müll herum, als das ich mich wirklich entspannen könnte.

Nach einer halben Stunde bewege ich mich wieder in mein Kanu, verstaue meine Kamera sowie die Essenskiste und binde es los. Nach 200 m bin ich wieder auf der Oder. Es scheint mir, die Strömung hätte etwas nachgelassen. Daher erklärt sich natürlich auch die nachlassende Reisegeschwindigkeit in den letzten Stunden.

Ich bin sehr gespannt, wie diese Kanureise weiter geht. Rechts ist das Ufer weiterhin bewaldet und hoch, links unverändert schilfig. direkt am Wasser sind fast nur Steinböschungen anzutreffen. Ab und zu gibt es Stellen, die Angler oder Badende  sich "renaturiert" haben, d.h., die Steine entfernt. Das bedeutet, man kann nur an wenigen Stellen anlegen.

Vom Nationalpark bekommt man von der Stromoder aus nichts mit. Auf der Ostseite mündet nach ein paar Kilometern ein Nebenfluss ein, dessen Namen ich nicht kenne. Einen Kilometer weiter, bei km 696, liegt links wieder ein Einlassbauwerk, natürlich geschlossen. Dann sind rechts auch schon erste Gebäude von Ognica zu sehen, das Gelände ist hier nicht mehr so hoch und es ist kein Wald vorhanden. Die Strömung geht hier gegen null, zumindestens bei der aktuellen Windlage. Es hängt von den Wasserstandsverhältnissen im Stettiner Haff ab, bis wo die Strömung reicht, und die verändern sich mit der Wind-Großlage.

Schwedter Querfahrt

Schwedter Querfahrt

Die Schwedter Querfahrt erweist sich als sehr schöner schmaler See, da die Deiche meist nicht zu sehen sind. Vor ihnen wächst ein Streifen von Erlen, Weiden und anderen Nässe liebenden Gehölzen, so dass der Eindruck großer Natürlichkeit entsteht. Ab und zu steht mal ein Wehr am Ende einer kleinen Bucht. Das Wasser ist sehr klar und außerhalb der Fahrrinne wächst sehr viel Wasserpest bis kurz unter der Wasseroberfläche, so dass ich kleinere und größere Fische herumschwimmen sehe. Ich freue mich sehr, hier jetzt zu paddeln und lasse mir viel Zeit. Es ist jetzt ja auch erst knapp 15:00 Uhr. Mein Etappenziel ist noch etwa 8 km entfernt, d.h. vielleicht 2 Stunden, je nach Betrieb in der Schleuse.

Ein kleines Motorboot mit 2 Anglern liegt in Ufernähe und bratzt langsam in Richtung Schleuse. An einer kleinen Bucht auf der linken Seite mache ich eine kleine P-Pause, jetzt kann ich genau feststellen, wie nahe der Deich eigentlich ist. Aber es stört keineswegs.

Bald bin ich vor der Schleuse, auch die beiden Angler warten hier auf Einlaß. Nach wenigen Minuten öffnen sich die Tore, wir fahren hinein, die Angler auch mit Stechpaddel ohne Motor, sehr angenehm.

Schleuse Schwedt

Schleuse Schwedt

Die Schleuse ist riesig, aber eigenartig konstruiert: die Wände sind schräg ausgebildet und mit Granit gepflastert. Dalben markieren die Haltemarken, für Kleinfahrzeuge sind Kunstoffseile gespannt. Der Schleusenhub beträgt nur wenige cm, vielleicht 20-30 cm. Es kommt mir etwas übertrieben vor, dass wir uns festhalten müssen, wie die Schleusenwärterin meint. Aber sie ist nett.

Erwartungsgemäß dauert die Schleusung nicht lange, bald paddle ich auf der Hohensaatener-Friedrichsthaler-Wasserstraße. Diese ist zuerst ein sehr schmaler Kanal, rechts ein höheres Ufer und links ein Deich. Nach 1,5 km erweitert sich der Kanal, Schwedt kommt in Sicht.

Schwedt/Oder auf der Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße

Schwedt/Oder auf der Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße

Dort, wo ich im Juli noch frisch zum Anleger des Kanuclubs paddeln konnte, sind jetzt Teppiche von Wasserpest, die kein Durchkommen erlauben. Aber ich will ja auch zum Holzhafen, mache mir jedoch durchaus meine Gedanken, wie der Yachthafen hier befahren werden kann. Dann sehe ich, dass man hier offensichtlich "privat" die kleine Hafeneinfahrt ein wenig geräumt hat.

Ich paddle vorbei, passiere bald auch noch den Anleger der Ausflugsschifffahrt. Danach paddle ich an der Fischerei vorbei, ein der Einsetzstelle "am Wasserweg" und bin endlich vor dem Holzhafen. Es ist immer das selbe: das letzte Stück ist immer schwer zu paddeln, dann, wenn man schon fast angekommen ist.

Ich lege beim Seesportverein an, melde mich an und packe dann mein Kanu leer. Zum Schluß trage ich mein Kanu den relativ steilen Hang hinauf. Ich stelle mein Zelt auf, lasse mich dann aber vom Hafenmeister überreden, ein kleines Zimmer zu mieten. Sie sind 2-bettrig und Motel-artig aneinander angeordnet. Der gesamte Hafen ist einfach gemütlich, vom Stadtlärm bekommt man hier nichts mit. Es gibt schöne sanitäre Anlagen, eine sehr gut ausgestattete Küche gehört ebenfalls zum Hafen. 

Ich koche mir eine gute Mahlzeit aus den Resten, die ich noch mit mir herumschleppe. Dabei komme ich mit den anderen Zeltern ins Gespräch: 3 Studentinnen aus Berlin und auch ein Mann aus Sachsen sind mit ihren Fahrrädern auf dem Oder-Neiße-Radweg unterwegs und zelten hier im Holzhafen des Seesportclubs Schwedt. Die Gepräche drehen sich wie immer um Natur und wo es schön ist und wo man überhaupt schon mal war und wie man reist. Der Sachse war auch schon in Neuseeland, Fahrrad mit im Flugzeug. Bald gehen alle schlafen, die viele frische Luft macht müde, und das ist gut so.