Kanu & Natur

ein persönliches Blog von Jürgen Clausen

Wriezen bis Schiffmühle

Geschrieben am 27.07.2009 in Kanureisen (2009) —   Alte-Oder, Oderbruch (Geändert am 05.07.2017)

Teil 5 von 6 in der Serie Alte Oder ab Reitwein bis Oderberg 2009

Morgens checke ich bei der Putzfrau aus, und dann ist auch bald mein Zelt trocken. Ich packe alles in mein Auto und fahre nach Wriezen zum Kanuverleih der Familie Brennecke, die freundlicherweise mein Kanu  und meine Ausrüstung unter Verschluss gehalten haben. Ich parke dort am Wasser und mache meinen Holzcanadier reisefertig. Gegen 10:00 Uhr kann ich endlich meine Kanutour starten, das Wetter ist sehr gut.

Zur Abwechslung ist heute nur ein kurzer Abschnitt geplant: es sollen nur die 13,5 km bis Schiffmühle gepaddelt werden. Bis zum Wasserwanderrastplatz Oderberg ist es ziemlich genau doppelt so weit, und das ist mir heute zuviel. Ich will mir richtig viel Zeit lassen, lange Pausen machen und alles genau erkunden, auch eventuelle Nebengewässer. Da ich schon ein wenig auf der Wriezener Alten Oder gepaddelt bin, habe ich schon einige Naturerlebnisse hier gehabt.

schöne Widnis

schöne Widnis: an der Wriezener Alten Oder

Die Wriezener Alte Oder ist erheblich breiter als die Fließe vorher, es ist ja auch der ehemalige Hauptarm der Oder, auf dem ich hier unterwegs bin. Er kam von Güstebieser Loose, über Wriezen und Schiffmühle um den Neuenhagener Sporn herum bis Oderberg, von da bis Hohensaaten. Erst mit dem Durchstich zwischen Güstebieser Loose bis Hohensaaten entstand die heutige Oderinsel, auf der Schiffmühle, Bralitz und Neuenhagen liegen. Der Durchstich entwickelte sich durch Erosion "planmäßig" zum Hauptarm der Oder.

Güstebieser Alte Oder

Güstebieser Alte Oder: bei der Einmündung in die Wriezener Alte Oder bei Wriezen. Das war bis Mitte des 18. Jahrhunderts der Hauptarm der Oder.

Sie ist eingedeicht, allerdings liegen die Deiche zum größten Teil weit ab vom Ufer, so dass man immer ein Stück richtige Wildnis um sich herum hat. Von Osten mündet gleich hinter Wriezen die Güstebieser Alte Oder ein, ein schmaler Altarm, eben der frühere Hauptarm der Oder. Er ist ziemlich verwildert, landschaftlich sehr reizvoll und bekommt inzwischen auch wieder Wasser aus der Stromoder (erst seit Herbst 09). Ich paddle ein kleines Stück hinein, meine Nase sagt mir, dass der Untergrund hier ziemlich verschlammt ist. Das liegt wohl an den bisherigen Strömungsverhältnissen und wird sich verbessern, wenn mehr Wasser hindurch fließen kann.

Die Wriezener Alte Oder nahe Wriezen

Die Wriezener Alte Oder nahe Wriezen

Ich paddle also weiter in Richtung Schiffmühle. Die Natur um mich herum lullt mich auf gewisse Weise ein, indem sie meine Gedanken ganz auf sich lenkt. Bis ich den Biwakplatz Neugaul erreicht habe, lasse ich mich ausschließlich vom Gesang der Singdrosseln, Sumpfmeisen, Rotkehlchen und  Sumpfrohrsängern sowie dem Klopfen der Spechte einnehmen. Von den 4 Kilometern, die ich paddle, merke ich nicht viel.

Biwakplatz Neugaul an der Wriezener Alten Oder

Biwakplatz Neugaul an der Wriezener Alten Oder

Am Biwakplatz selbst paddle ich in den kleinen "Hafen" hinein, lege an und steige aus meinen Kanu aus. Der Biwakplatz Neugaul ist recht groß, bietet ein paar Sitzmöglichkeiten und ein Trockenklo. Ich laufe ein wenig umher und schaue mir die Umgebung an, bevor ich weiterpaddle. Es müsste mal wieder Rasen gemäht werden. Ansonsten ist es hier annehmbar. Am gegenüber liegenden Ufer befindet sich eine Badestelle, wahrscheinlich die der Dorfjugend von Neugaul. Immerhin wurde hier Sand aufgeschüttet.

kurvige Wriener Alte Oder

kurvige Wriener Alte Oder

An der weiteren Strecke gibt es sogar so etwas wie "Deichvorland", Schafe halten das Gras kurz. Ansonsten geht es mit der Wildnis munter weiter und es ist sehr still. Nach etwa 3 km taucht am linken Ufer wieder ein Schild auf, an einem Bootssteg liegen zwei Ruderboote, eines davon ist abgesoffen. 

Wriezener Alte Oder unterhaln Neugaul

Wriezener Alte Oder unterhaln Neugaul

Nach den Informationen auf dem Schild am vorherigen Kanurastplatz Neugaul bedeutet das: hier ist die Rastmöglichkeit "Zuckerfabrik". Auch hier steige ich aus, ich will sehen, ob man hier irgendwo parken und sich dieser Biwakplatz als Einsetzstelle eignen könnte. Man kann oben an der Straßenbrücke parken, das Dorf Altranft ist etwas mehr als einen Kilometer entfernt. Dort ist auch der Freienwalder Landgraben, er ist aber erst ab Bad Freienwalde gut paddelbar, vorher sind zu viele Hindernisse und schön ist es auch nicht wirklich.

Wildnis bei altranft

Wildnis bei altranft: auf der Wriezener Alten Oder

Bald paddle ich weiter, bis zu meinem Zielort Schiffmühle sind es nur noch knapp 6 km, der Himmel wird etwas dunkler. Die Deiche sind jetzt erheblich weiter von der Wriezener Alten Oder entfernt, an den Ufern dominiert immer noch die Wildnis. Ich frage mich, wieviel Strömung die Oder wohl früher hier gehabt hat, als noch das gesamte Wasser hier den Originalstrom entlang floss. Es dürfte heftig gewesen sein, erst recht im Frühling. 

unterhalb altranft

unterhalb altranft: Wriezener Alte Oder unterhalb Altranft

Meine Laune ist hervorragend, ich freue mich weiterhin an der natürlichen Umgebung und versuche mir vorzustellen, wie es hier wohl vor der Trockenlegung ausgesehen haben mag. Dann sehe ich einen hohen Schornstein und erinnere mich, in Neutornow so einen gesehen zu haben. Auch die ersten Häuser am Höhenzug Neuenhagener Sporn tauchen auf, sie gehören zu den Orten Schiffmühle, Neutornow und Gabow.

der Neuenhagener Sporn in Sicht

der Neuenhagener Sporn in Sicht: Wriezener Alte Oder

Nun fängt es richtig zu regnen an, ich richte mich wieder unter meinem Anglerschirm gemütlich ein. Solange kein Wind herrscht, geht es gut mit dem Schirm. Dann bin ich an der Gabelung, wo von rechts die Stille Oder kommt: sie fließt normalerweise nicht im freien Gefälle in die Wriezener Alte Oder sondern wird gepumpt. Deshalb gibt es auch diesen hohen gemauerten Schornstein: dort befindet sich das alte Pumpwerk, das mit Dampf angetrieben wurde, bis man es in den 50er Jahren elektrifiziert hat. Die Stille Oder hat die Aufgabe, das Drängewasser (Qualmwasser) der Oder aufzufangen und es in die Vorfluter abzuleiten. Direkt am Deich dient dazu der Laufgraben ab Zollbrücke, dessen Wasser sammelt dann die Stille Oder / Mucker.

Wriezener Alte Oder vor Neutornow

Wriezener Alte Oder vor Neutornow: man sieht den Alten Schornstein der dampfbetriebenen Pumpanlage

Es wird wieder trocken, meine Uhr zeigt 13:25 Uhr, ich suche eine Möglichkeit, mein Holzkanu samt Ausrüstung irgendwo sicher unterzubringen, während ich mit der Bahn wieder zum Auto fahre. Am rechten Ufer nehme ich ein Motorboot wahr, auf dem eine Frau und Kinder damit beschäftigt sind, das Schiff zu putzen und klar zu machen. Es hat einen Namen, der einen Bezug zu einer Canadischen Provinz hat, in der ich wiederholt gewesen bin. Ich frage freundlich, ob sie zu den Grundstückseignern gehören und ob ich wohl für ein paar Stunden meinen Holzcanadier und die Ausrüstung bei ihnen liegen lassen kann.

Wriezener Alte Oder vor Schiffmühle

Wriezener Alte Oder vor Schiffmühle

Deren Garten am Ufer ist völlig überflutet, ein Wachhund bellt mich aus. Er wird zurück gepfiffen und die Frau ist damit einverstanden mir zu helfen. Ich frage noch, wann denn Busse zum Bahnhof fahren, und sie meint, alle Stunde oder etwas Ähniches. So wandere ich denn mit meiner kleinen Alukiste mit Kamera, Knabberzeug und Trinken zur nahen Bushaltestelle. Dort sehe ich, dass jetzt in den Sommerferien kaum Busse fahren, und so beschließe ich, einfach zu Fuß zum Bahnhof Bad Freienwalde zu gehen. Viel mehr als 2 km können es nicht sein.

Es regnet wieder, und ich habe meinen Schirm nicht mitgenommen. Es ist aber ziemlich warm, und daher ziehe ich einfach mein Hemd aus, kürze meine Lange Hose  und stopfe Hosenbeine und Hemd in meine wasserdichte Alukiste. Ich gehe forsch, der Regen hört auf, kräftiger Sonnenschein trocknet mich schnell wieder. Nach etwas mehr als einer halben Stunde bin ich in Bad Freienwalde am Bahnhof, aber gerade, als ich rüber zu den Bahnsteigen gehen will, werden die Schranken geschlossen und ich kann nicht mal eben schnell zu meiner Bahn gehen. Die kommt bald, hält ziemlich kurz und fährt dann nach Wriezen, wohin ich ja auch will.

Als ich dann am Bahnsteig bin, zeigt mir der Fahrplan, dass die nächste Bahn erst in 2 Stunden fährt. Ich beschließe, mir ein Eis zu kaufen, einen Geldautomaten aufzusuchen und dann einfach so lange zu warten und mir gute Gedanken zu machen. Als ich dann wieder bei der Bahn bin, nehme ich meine Kamera in die Hand und entdecke, dass der Autofocus nicht mehr die Mitte nimmt. Da ich kein Handbuch dabei habe (es liegt im Auto), rufe ich schnell Gundula an, die in das Handbuch einer anderen, ähnlichen Spiegelreflexkamera schaut und mir das Procedere erklärt. Ich probiere es aus und bin sehr froh, daß ich den Autofocus wieder richtig eingestellt bekommen habe.

Eine Zeitung liegt herum, ich kann also noch ein wenig lesen. Dann kommt auch schon meine Bahn, und bis Wriezen ist es nur eine sehr kurze Fahrt, es gibt auch nur einen kurzen Zwischenhalt in Altranft. In Wriezen gehe ich trotzt der Hitze schnell zum Hafen und melde mich kurz bei Familie Brennecke. Es gibt dort Radler mit selbstgebrautem Bier, und er schmeckt vorzüglich. Eine Gäste-Gruppe wird auch gerade verköstigt, sie haben eine lange Kanutour hinter sich. Dann will ich aufbrechen, bedanke mich und nehme meinen Transporter wieder in Betrieb. In gut 15 Minuten bin ich wieder bei meinem Kanu, darf auf den Betriebshof fahren, um alles nicht weit schleppen zu müssen. Ich bedanke mich nett bei den freundlichen Zeitgenossen und fahre noch ein wenig in Schiffmühle umher, um weitere Einsetzstellen zu erkunden. Dabei treffe ich eine freundliche junge Dame, die gerade mit ihrer Jugendgruppe eine Kanutour gemacht hat und mir erklärt, wo es noch Einsetzstellen in der Gegend gibt. Sie arbeitet beim Landesumweltamt und gibt mir ihre Dienstnummer, falls ich mal etwas Spezielles wissen möchte. Dann beschließe ich, nach Oderberg zum Wasserwanderrastplatz zu fahren, um dort zu übernachten und morgen das letzte Stück von Schiffmühle bis Oderberg zu paddeln.

Ich melde mich also bei den Betreibern an (Kanuverleih Oderberg) und baue dort mein Zelt auf, nachem ich bei einem kleinen Händler neben einem Supermarkt noch ein wenig Gemüse eingekauft habe. Ich bin ganz allein dort auf dem Wasserwanderrastplatz, aber auf der Alten Oder (Havel-Oder-Wasserstraße) fahren noch einige polnische Frachtschiffe und auch ein paar Freizeitmotorboote. Ich dünste mir also meine Paprikas und koche Nudeln, dazu habe ich einige Geflügelwürstchen gekauft, die ich erhitze. Das macht mich so satt, daß meine angepeilte Abendtour mal ausfällt. Ich bin dann auch bald schlaffertig, aber dann im Schlafsack kann ich dann doch noch nicht sofort einschlafen. Ich denke unter anderem darüber nach, wie ich alles hätte einfacher organisieren können: es nervt mich immer sehr, wenn ich während einer Kanutour soviel mit Auto Nachholen beschäftigt bin. Aber die einzige akzeptable Lösung wäre gewesen, erst von Gorgast aus zu starten, und genau das wollte ich nicht. Allerdings hätte ich das Fahrzeug auch dort deponieren können, vorher aber das Kanu nach Reitwein bringen müssen und es solange allein lassen, bis ich wieder zurück gewesen wäre. So etwas mache ich aber höchst ungern, aus verständlichen Gründen. Das erste Stück Alte Oder möchte ich aber auch nicht missen. Vielleicht hätte ich in Frankfurt auf der Stromoder  starten müssen, das Stück Oder bis km 605,5 paddeln und dann übersetzen in die Alte Oder bei Reitwein. So blöd wäre das nicht gewesen, es hätte nur einen Tag länger gedauert. Dann schlafe ich endlich ein, höre noch das Platschen einiger Biber in der Nähe.