Kanu & Natur

ein persönliches Blog von Jürgen Clausen

Havel von Rathenow bis Garz

Geschrieben am 10.07.2009 in Kanureisen (2009) —   Untere-Havel (Geändert am 05.07.2017)

Teil 10 von 13 in der Serie Solo-Kanutour auf der Unteren Havel 2009

Heute morgen erwache ich gegen 5:00 Uhr, kann dann aber noch wenigstens eine halbe Stunde schlafen. So bin ich um 6:00 Uhr schon geduscht und rasiert. Es ist recht warm, etwa 19° und trocken. Ich möchte mich etwas in der Umgebung umsehen. So marschiere ich durch die Gärten in die Richtung, in der ich die Innenstadt vermute, ohne wirklich einen Plan zu haben. Einen Kilometer gehe ich durch Gärten, wo schon Kirschen und schwarze Johannisbeeren reif, aber für mich unerreichbar sind. Dann komme ich an einem Bahndamm, wende mich nach Osten. Ich treffe eine Straße, wende mich dahin, wohin die meisten Autos fahren, weil ich naiv denke, das muss ja wohl die Stadt sein. So ist es aber nicht, ich lande in einem Vorort, einer Ausfallstraße in Richtung Premnitz. Es ist halb sieben, als ich vor einer Tankstelle stehe. Ich kaufe mir ein belegtes Brötchen und Mineralwasser sowie ein paar Erdnüsse. Dann mache ich mich langsam wieder auf den Heimweg. Der Turm ("Bismarkturm", wie ich später erfahre) ist eine Baustelle, die Zuwegung gesperrt, schade. Ich treffe einige Jogger, ansonsten ist noch nichts los. Ich höre einen Pirol flöten und freue mich darüber sehr. Bei uns in Schleswig-Holstein ist das eine absolute Rarität, hier höre ich oft einen und manchmal bekomme ich auch einen Pirol zu sehen. An der Müritz (Bolter Kanal) sah ich sogar mal ein Pärchen bei der Balz in einem niedrigen Baum, als ich frühmorgens dort vorbei paddelte.

Gegen 7:00 Uhr komme ich wieder beim WSV an. Da ich wegen des Brötchens an der Tanke keinen Hunger mehr habe, gibt es statt eines richtigen Frühstücks nur noch meinen Landkaffee, dann baue ich ab und packe ein. Bis ich aber wirklich loskomme, ist es doch schon 8:20 Uhr.

Anlegemöglichkeit in Rathenow

Anlegemöglichkeit in Rathenow

Heute will ich bis Strodehne paddeln, wo es einen ausgewachsenen Wasserwanderrastplatz geben soll. Rathenow habe ich innerlich schon abgehakt und will daher den kürzeren Weg durch die Hauptschleuse nehmen. Dort angekommen, melde ich mich wieder über die Sprechanlage und bekomme zu hören, dass ich die Stadtschleuse nutzen muss. Bisher wusste ich nur von einer Sperrung für Sportboote im Juli und August, aber so etwas kann sich ja ändern.

Stadtschleuse Rathenow

Stadtschleuse Rathenow

Ich sattle also wieder meine Pferde (äh mein Kanu) und reite (paddle) wieder in die Richtung, aus der ich kam. Es macht mir gar nichts, und auf diese Weise bekomme ich doch noch einen Eindruck von Rathenow. Immerhin gibt es noch weitere Wassersportclubs und einen Kanu tauglichen niedrigen Anleger direkt vor der Schleuse nahe einem Restaurant. Am Wehr kurz davor hätte ich umsetzen und so die Schleuse plus der Staddtumfahrung sparen können, aber auf die 1,5 km kommt es mir jetzt auch nicht mehr an. Hier gibt es sogar noch einen Schleusenwärter. Er beklagt sich darüber, dass die meisten Paddler beim Anblick der Schleuse das Paddeln vergessen und sich nur sehr zögerlich wieder in Bewegung setzen, als ob sie Angst vor der Einfahrt und dem Folgenden hätten. Daher lobt er mich ausdrücklich, da ich zügig auf die Schleuse zugepaddelt wäre. Dabei habe ich zwischendurch noch fleißig Fotos gemacht.

Optikpark in Rathenow mit Anleger

Optikpark in Rathenow mit Anleger

Dann bin ich "unten", was etwa 2 m tiefer sein mag. Der Stadtarm der Havel ist hier schmal, die anliegenden Häuser verschieden attraktiv. Es riecht ein wenig unangenehm, dieser Teil der Stadt könnte ein wenig Pflege gebrauchen. Dann wird es wieder netter, ich paddle noch ein Stück nach links, wo ich eigentlich nach rechts abbiegen sollte, und schaue mir das alte Mühlengebäude an, das heute den "Optik-Park" beherbergt. Hier gibt es auch ein Restaurant, ein niedriger Schwimmsteg lädt sogar Paddler ein. Um das zu proklamieren, sind 2 Plastikteile als Display an hohen Stangen angebracht, die wie Canadier aussehen. Es könnten sogar echte sein, ich weiß es nicht genau. Hinter dem Optikpark wird es anscheinend eine Veranstaltung geben, ich sehe ein Werbetransparent des RBB und höre ein Lied, eine herzzereißende Melodie, es ist die Rockballade "hallelujah" von Leonard Cohen.  Sie spielen es immer wieder, und ich höre es später noch über 1 km. 

Havel unterhalb Rathenow

Havel unterhalb Rathenow

Eigentlich wäre ich gerne die jetzt rechts abzweigende Stremme gepaddelt, aber beim Kanuclub sagte man mir, das Wehr wäre sowohl unumtragbar als auch unfahrbar, da es einen Bauschaden bei dem Neubau gegeben hätte. Na, dann später. Etwa einen guten halben Kilometer später bin ich wieder auf der UHW, also der Unteren Havel Wasserstraße bei km 104. Von Rathenow ist kaum noch etwas zu sehen, ich richte meinen Geist also nach vorne aus und genieße eine leichte Strömung.

Schönes Ufergehölz an der Havel

Schönes Ufergehölz an der Havel

Die Ufer sind wieder mit hohen Gehölzen bestanden, meist ausladenden Weiden und knorrigen Erlen. Von der nahen Landwirtschaft spürt man kaum etwas, die Böschungen sind leider fast durchgehend mit scharfem Granit befestigt wie meist. Unterhalb km 107 wird es links etwas hügelig, ein Wald beginnt, dort muss das Bundeswehrgelände bei Göttlin liegen. Dann sehe ich auch schon die betonierten Rampen und einige Panzerfähren. Es soll hier wohl das Übersetzen schwerer Fahrzeuge geübt werden. Von rechts mündet die "Rathenower Stremme" ein, dort parken einiger dieser albernen Fähren.

Floß auf der Havel

Floß auf der Havel

Dann ist die Landesverteidigungseinrichtung vorbei, mir kommt ein Wasserfahrzeug entgegen, daß ein wenig an "Lokomotive" erinnert und auch noch einen eingeschalteten Scheinwerfer in der Mitte oben hat. Es entpuppt sich jedoch als ein eigenwilliges Floß. Es schleppt noch ein kleines Babyfloß neben sich her.

Havel bei Albertsheim

Havel bei Albertsheim

Seit einiger Zeit ist von rechts etwas Straßenlärm zu hören, neben der Havel "fließt" hier die Bundesstraße 102 in Richtung Rhinow. Ein Blick auf meine Gewässerkarte zeigt mir, dass sie sich bald von der Havel entfernen wird. Bei km 110, also nahe Albertsheim, bekomme ich am Ufer Besuch von einer Katzenmammi, die ihren 2 Kleinen anscheinend zeigen möchte, dass es noch mehr auf der Welt gibt als Kitekat und Kratzbaum. Sie sind alle drei sehr neugierig und stören sich auch nicht daran, fotografiert zu werden. Und noch etwas Interessantes steht hier: eine Meßstation für die Untere Havel, die Durchflussmenge, Strömung und Wasserstand mißt.

Havel-Altarm bei km 111

Havel-Altarm bei km 111

Bei km 111 bin ich um 11:36 Uhr. Ich brauche dringend Auslaufmöglichkeiten. Da ich sie an der Havel selbst nicht finde, paddle ich in den Altarm links bei km 111 hinein und begebe mich an Land, wobei ich dafür ein wenig durch flachen Modder (mit festen Grund) gehen muß. Hier blühen Beinwell, Weidenröschen und einige Teichrosen. Im Wasser kann ich eine Libellenlarve erkennen sowie einige kleine Fische. Der gesamte Altarm strotzt nur so vor Leben, einige Fische springen durch die Wasseroberfläche. Der nahe Wald duftet würzig nach Kiefernharz. Eine Mönchsgrasmücke schmettert ihr typisches Lied, ein Stück weiter zirpen einige Goldhähnchen am Waldrand. Der Abschied von diesem kleinen Stückchen Paradies wird mir erleichtert, weil einige Stechmücken mich in  ihrem Beuteranking sehr hoch einstufen.

Hohennauener Wasserstraße

Hohennauener Wasserstraße

Dann erblicke ich schon des erste Schild, das auf ein Restaurant am Hohenaunener See hinweist, der durch einen schmalen 1,5 km langen Kanal mit der Havel verbunden ist. Er nennt sich offiziell "Hohennauer Wasserstraße", was ich angesichts einer Breite von 12-15 m auf Neudeutsch als "begrifflich overkilled" bezeichnen würde. Es ist ein völlig gerader Graben mit hohen Schilfufern, gleichwohl dürfte er der Stolz seiner Erbauer gewesen sein, da er über den Witzker See auch den "Großen Havelländischen Hauptkanal" mit an die Havel angebunden hat. Das Ganze hat sicherlich sehr viel Schweiß gekostet, und an internationalen Wassertourismus hat dabei damals wohl niemand gedacht. Die Hohennauener Wasserstraße hat ihren Ursprung in den Bemühungen zu Beginn des frühen 18. Jahrhunderts, das Havelluch trocken zu legen, und wurde als Graben mit 5 m Sohl - und 7 m Kronenbreite angelegt. Vorher ist hier das Überschusswasser des Luchs zur Havel abgeflossen, einen Bach gab es also schon. Insgesamt entstanden schon damals die Vorläufer der Havelluch - Kanäle auf einer Länge von 510 km, wobei meist Altarme des Rhin genutzt wurden.

Pausenplatz bei Grütz an der Havel

Pausenplatz bei Grütz an der Havel

Die folgenden 3 km bis Grütz paddle ich mit gleichmäßigen Paddelschlägen in Halbtrance, erst der Biwakplatz in Grütz läßt mich wieder aufmerksam werden. Der Platz hat sowohl einen Schwimmsteg als ein seichtes Ufer, es gibt überdachte Sitzplätze und einen Beton-Tischtennistisch.  Der Rasen ist kurz, der Ort wirkt gepflegt. Wenn ich jetzt einer Pause bedurft hätte, ich hätte hier glatt den Platz genutzt. Sogar eine Gastwirtschaft mit Motorbootsanleger gibt es, wo man duschen kann. Das ist nicht weit vom eigentlichen Biwakplatz entfernt und wird bestimmt noch von uns getestet werden.

Schleuse Grütz an der Havel

Schleuse Grütz an der Havel

Dann finde ich mich an der Schleuse Grütz wieder, etwa 1,7 km unterhalb von Grütz. Ich telefoniere mir wieder eine Schleusung herbei, es geht schnell und problemlos. Regnen tut es auch mal wieder. Es ist schon eigenartig, in einem so riesigen Schleusenbecken als Kanu heruntergelassen zu werden, aber wenn ich eine riesige Yacht hätte, wäre es das ja Gleiche: eine Person mit Boot wird geschleust.

Pausenplatz bei Neumolkenberg

Pausenplatz bei Neumolkenberg

Etwa 2 km weiter gibt es rechts nahe Parey auch einen Biwakplatz, auch hier lässt es sich gut anlegen. Auch hier ist alles aufgeräumt, der Rasen kurz. Es gibt allerdings kein Überdach, und außerdem möchte ich für meine Mittagspause jedoch heute alleine in der Natur sein. Abseits von Neumolkenberg entdecke ich eine überdachte Sitzgruppe. Da es auch gerade regnet und leider auch windiger ist als vorher, nutze ich dieses Angebot gerne aus. Ich lande an und packe meine Küchenkiste aus. Das morgens in Rathenow verpasste Müslifrühstück esse ich jetzt, dabei beobachte ich ein paar Weißstörche: erst 2, dann 3 und bald sind es 4 Störche, die auf der frisch geheuten Wiese nach Nahrung jagen. Ich sehe sogar, wie einer mit einer Maus davon fliegt.Auch eine Wiesenweihe ist auf Beuteflug.

Ich telefoniere mit Gundula, zu Hause ist alles OK und der Regen bleibt mir wohl noch etwas erhalten. Meine Handy-Uhr zeigt 14:06 Uhr, und damit habe ich noch viel Zeit, um Strodehne zu erreichen. Ich döse noch ein wenig herum, dann packe ich meine Essenssachen wieder ein und verlasse die Storchenwiesen und den Badeplatz von Neumolkenberg.

Landwirtschaftsfähre in Molkenberg an der Havel

Landwirtschaftsfähre in Molkenberg an der Havel

Bald gelange ich nach Molkenberg, mir wird die Entscheidung abverlangt, entweder links auf der Unteren Havel weiter zu paddeln oder rechts in die "Nietze" bzw. "Gülper Havel" abzubiegen. In Molkenberg gibt es noch eine alte Fähre, die anscheinend zu einem Weg nach Parey führt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie wirklich noch in Betrieb ist, wünsche es den Menschen in Molkenberg aber sehr. Es gibt traditionell in den Flussregionen sehr wenig Brücken und Fähren, und diese Tradition wurde kaum irgendwo gebrochen, im Gegenteil, es wurden sogar einige Fähren stillgelegt. Wenn diese noch in Betrieb ist, umso beser. (Als ich dieses schreibe, habe ich bereits recherchiert, dass es die Molkenberger Fähre als "Wirtschaftsfähre" noch gibt, sie wird von der örtlichen Agrargenossenschaft gereedert).

Schwanenblumen an der Havel

Schwanenblumen an der Havel

Die Entscheidung, rechts abzubiegen oder die Havel zu paddeln wir mir erleichtert, als ich ein Schild sehe, daß auf den Hafen Garz hinweist, wo es angeblich Duschen, Zeltmöglichkeit und ein Restaurant geben soll: in Anbetracht des nicht gerade berauschenden Wetters entscheide ich mich schnell dafür, die heutige Fahrt schon nach 28 km zu beenden anstatt noch die 2,5 km bis Strodehne dranzuhängen oder alternativ die 2 ungewissen Kahnschleusensituationen auszuprobieren. Damit wäre nämlich die rechte Tour verbunden gewesen, wie ich noch nicht erwähnte.

Scleuse Garz an der Havel

Scleuse Garz an der Havel

An der folgenden Schleuse Garz komme ich dann um 16:22 Uhr an, und es regnet immer noch. Ich melde mich an, dabei stelle ich fest, daß die Örtlichkeit es hier erlaubt, den Schwimmsteg der Schleuse auf der Bergseite auch als Einsetzmöglichkeit zu nutzen, wenn man hier aus der Gegend kommt. Auch hier bin ich allein und paddle um 16:56h aus dem riesigen Becken heraus. Es kam mir nicht lange vor, aber ich staune immer wieder, wieviel Zeit eine Schleusung konkret kostet. Von meinem Übernachtungsplatz trennen mich jetzt nur noch gut 2100 Meter.

Der Regen hat aufgehört, der Wind zugenommen. Das letzte Stück zurück in den Altarm zum Hafen Garz spanne ich noch meinen Anglerschirm auf, um den Rückenwind zu nutzen. Bis ich dort festmache, ist es schon 17:28 Uhr geworden und der Himmel sieht richtig freundlich aus. Ich komme direkt an einer Biberburg vorbei, es gibt auch eine öffentliche Einsetzmöglichkeit im Dorf außer dem Schwimmsteg mit seiner einsetz-unfreundlichen schmalen Gangway. Ansonsten ist der Hafen nett anzuschauen, auch das Dorf macht einen liebevoll behandelten Eindruck.

Hafen Garz an der Havel

Hafen Garz an der Havel

Ich betrete den Gasthof und melde mich an. Es gibt einen Sanitärcontainer mit warmer Dusche und im Gasthof etwas zu essen. Ich lasse mir schon mal die Speisekarte geben und bestelle mit dem Ziel: 30 min, um sofort nach dem Auspacken und Aufbauen etwas zu Essen zu bekommen. Um 17:10 Uhr steht mein Zelt und meine feuchten oder nassen Sachen sind ausgebreitet, um sie im Wind trocknen zu lassen. Der Himmel sieht allerdings so aus, als ob es noch weitere Niederschläge geben könnte. Wir werden ja sehen.

Ich bekomme mein Schnitzel (als "Steak" gekauft, naja) und dazu gibt es  ungefragt eine große Portion gemischten Salat mit selbstgemachtem Dressing, so lobe ich es mir. Beim Schnitzel mit Kroketten liegt auch noch mal Salat, und das Ganze bekomme ich mit 0,5l Radler für gerade mal 11,50 Euro. Es schmeckt sehr gut, ich werde satt und unterhalte mich noch ausgiebig mit einer der beiden Wirtinnen. Es gibt noch einen weiteren Gast aus dem Dorf Garz, keine weiteren Übernachtungsgäste. Die gute Frau sagt auf meine diesbezügliche Frage aber, es sei oft viel Betrieb hier.

Kirche von Garz an der Havel

Kirche von Garz an der Havel

Ich lasse mir viel Zeit, gehen dann noch ein wenig ins Dorf und schaue mir das bemerkenswerte Ensemble an, wirklich hübsch. Dann bringe ich meinen Rasierer zum Aufladen in den Sanitärcontainer, putze mir die Zähne und schaue noch an der Biberburg vorbei. Ein Fischer kommt mit seinem typischen flachen Havelkahn, wie man sie hier überall an der Havel zu sehen bekommt. An der Biberburg herrscht Stille, ich bin wohl entweder zu früh oder zu spät. Also rufe ich noch Gundula an, aber der Funk ist zu schwach, wir verstehen uns nicht. Da verabreden wir uns auf morgens. Ich gehe schlafen. Vorher registriere ich noch, daß die Strömung im Hafen zugenommen hat, sie wird vom Bypass an der Schleuse verursacht.